Das Private wird politisch / ZEIT Campus / Oktober 2020
Instagram gilt als soziales Netzwerk der Selbstinszenierung. Zehn Jahre nach seiner Gründung finden sich in den Feeds nicht mehr nur Selfies und Latte Art, sondern auch #climatestrike, #nofilter und #blackouttuesday. Wie hat das Netzwerk unsere Generation verändert?
Zum ersten Mal in seiner Geschichte schien das Netzwerk der Bilder seiner Bilder beraubt. Nachdem der US-Amerikaner George Floyd bei einem brutalen Polizeieinsatz getötet wurde, demonstrierten Hunderttausende gegen Polizeigewalt und Rassismus. Auch in New York, vor den Fenstern der beiden Musikproduzentinnen Brianna Agyemang, 32, und Jamila Thomas, 35. Beeindruckt von dem, was sie dort sahen, riefen sie auch online dazu auf, sich mit der schwarzen Community zu solidarisieren. Aus »The show must go on« solle »The show must be paused« werden. Ihre Aktion ging um die Welt – vor allem auf Instagram.
In Berlin teilte die Influencerin @dianazurloewen eine schwarze Kachel, in San Francisco Instagrams Chief Operating Officer @justinosofsky, in Hamburg die Aktivistin Charlotte Nzimiro @blackpowergermany. Der #blackouttuesday wurde so nicht nur zu der wohl größten digitalen Demonstration der Welt. Er stellte auch die Gegenthese zu dem dar, wofür Instagram einst berühmt geworden war: Zeitvertreib, Oberflächlichkeit, Perfektion.
Nachdem Instagram am 6. Oktober 2010 startete, wurden auf der Plattform vor allem Urlaubs- und Familienfotos geteilt. Das erste Foto des Co-Gründers Kevin Systrom zeigt einen Hund in Mexiko. Erst mit der Zeit wurde Insta oder IG, wie es meist abgekürzt wird, zum sozialen Netzwerk für heute weltweit rund eine Milliarde aktive Nutzer im Monat, die etwa 100 Millionen Fotos und Videos am Tag hochladen. 70 Prozent sind jünger als 35 Jahre. Mehr als 22 Millionen leben in Deutschland. Heute sind die Feeds zwar noch immer voll von Urlaubs- und Familienfotos. Aber man sieht auch Selfies ohne Make-up, Narben oder eben schwarze Kacheln. Instagram und was wir dort teilen, scheint sich verändert zu haben. Oder ist das auch nur wieder eine Pose?
Juri Papenberg, 20, und FSJler in der Notaufnahme des Universitäts- klinikums Hamburg-Eppendorf, ist gewissermaßen das, was man einen durchschnittlichen Instagram-Nutzer nennen könnte: Auf seinem allerersten Post am 29. Januar 2017 steht er in einer Kaffeeplantage in Nicaragua. Seine bis dato 15 weiteren Fotos zeigen ihn mal im Fußballstadion Camp Nou in Barcelona, mal vor Heliumballons »Abi 2019« oder in rotem Partylicht. Seinem privaten Profil folgen 180 Menschen, er hat 227 abonniert, darunter @zeit_campus, die Fridays-for-Future-Aktivistin @leoniebremr und @aerzteohnegrenzen. Durch seinen Feed scrollte er laut Bildschirmzeit damals mehr als eine Stunde pro Tag. Fast doppelt so viel wie andere unter 25.
»Das ungute Gefühl war schon länger da«, sagt Juri. Wie sehr er mit Instagram haderte, merkte er vergangenes Jahr, als er per Interrail durch Spanien fuhr. In Hostels lernte er immer wieder neue Leute kennen. »Meist war die erste Frage: Und wie heißt du auf Instagram?«, sagt er. »Ich vermute, nur um herauszufinden: Ach, so einer ist das.« Bis er merkte, dass er selbst auch so einer war. Einer, der Profile checkt und Menschen einsortiert. In Málaga hatte er sich gut mit einem Schweizer verstanden, erinnert er sich. »Doch als ich auf Insta dann seine langweiligen Gruppenfotos in den Bergen sah, entstand so ein Gefühl von: Der ist ein bisschen anders als ich.« Das Profil passte nicht zu diesem lustigen Mann, mit dem er beim Bier so locker über die Rapper BHZ und Capital Bra geplaudert hatte. Instagram hatte dazu geführt, dass Juri sich von ihm entfernte. Ohne dass er selbst so richtig verstanden hatte, warum.
Was Juri beschreibt, kann man als eine digitale Version jener »feinen Unterschiede« begreifen, über die der französische Soziologe Pierre Bourdieu bereits 1979 geschrieben hat. Wie wir uns kleiden, was wir lesen, wie wir uns fotografieren, all das sagt etwas darüber aus, wer wir sind und welchen Platz wir in der Gesellschaft einnehmen; laut Bourdieu der »Habitus«, wenn der kulturelle Geschmack jemanden als Angehörigen einer bestimmten sozialen Gruppe kennzeichnet.
Ein Instagram-Profil ist ein riesiges Archiv dieser feinen Unterschiede. Manchmal reicht ein Foto, um zu erkennen, wer wohin gehört oder wer gern wohin gehören würde. Erstsemester präsentieren sich mit selbst gedrehter Pueblo-Kippe beim Cornern, Influencerinnen im Monokini auf #santorini und Aktivisten auf der Black-Lives-Matter-Demo. Juri sagt, dass sich seine Freunde auf Instagram nicht unbedingt anders zeigten, als sie seien. »Sie betonen nur meistens eine Seite besonders, zum Beispiel, dass sie viel raven oder sich krass in der Mode auskennen. Dabei braucht jedes ihrer Fotos wahrscheinlich 50 Versuche.« Das Instagram-Profil als digitale Visitenkarte also, das einen immer so zeigen soll, wie man gesehen werden möchte. Eine Karte, die nur die Highlights präsentiert und das Dazwischen immer auslässt.
Juri setzte das unter Druck. »Ich habe manche Fotos echt nur für Instagram gemacht, damit man da gut und cool aussieht und das auch alle von einem denken«, sagt er. Ein Jahr nach seiner Spanienreise löschte Juri die App von seinem Smartphone. »Heute fühle ich mich befreit«, sagt er, »und schaue nur noch ab und an im Browser vorbei.«
DIE WISSENSCHAFT
Warum hadern Menschen wie Juri mit Instagram? Eigentlich schütten wir ja Dopamin aus, wenn wir Herzen bekommen. Das ist der Botenstoff im Gehirn, der auch beim Sex, durch MDMA oder Glücksspiel freigesetzt wird – und der süchtig machen kann. In den Dreißigerjahren dressierte der Psychologe B. F. Skinner Ratten und Tauben dazu, einen Hebel zu drücken, um sich mit Futter zu belohnen. Seinen Versuchsaufbau nannte er die »Skinner-Box«. Heute scheint Instagram ein Update davon zu sein. Nur dass die Belohnung in diesem Fall nicht satt macht, sondern, glaubt man den Studien, ziemlich unglücklich. Instagram verstärke Einsamkeit, Depressionen und Angst und könne dazu führen, dass man sich in seinem Körper unwohl fühle, so eine Studie der britischen Royal Society. Menschen zwischen 14 und 24 Jahren litten unter keinem anderen sozialen Netzwerk so sehr.
Instagram und auch YouTube verstärken stereotype Rollenbilder, so die Anfang 2019 viel diskutierte MaLisa-Studie. Besonders Influencerinnen erreichten hohe Reichweiten, wenn sie einem normierten Schönheitsideal entsprächen, also meist langhaarig und schlank, und sich mit den Themen Beauty, Mode und Ernährung beschäftigten. Mädchen, die diesen Frauen folgten, würden deren Posen – das zur Seite ausgestellte Bein, der angewinkelte Arm und die beiläufige Hand im Haar – wiederum auf ihren eigenen Fotos nachmachen. Dazu komme: Während Männer auf Instagram eher ihr professionelles Können darstellten (»photographer«), zeigten Frauen häufiger ihre Hobbys (»love photography«).
Ist Instagram also nur eine reaktionäre, unglücklich machende Brutstation, in der sich Frauen in ihrem Profil selbst als wifey bezeichnen und Männer als ambassador?
Instagram selbst scheint das Wohlbefinden seiner Nutzer ernst zu nehmen und beschäftigt ein »Wellbeing«-Team, das nach eigenen Angaben Strategien entwickelt, damit sich alle wohlfühlen. Dazu zählen: die Möglichkeit, auf dem eigenen Profil Kommentare zu löschen, in der App die Bildschirmzeit einzusehen oder Hinweise auf verletzendes Verhalten zu geben. Bis heute testet das Unternehmen außerdem auf ausgewählten Profilen, was es mit seinen Nutzern macht, wenn die Anzahl der Likes ausgeblendet wird. Justin Osofsky, seit mehr als einem Jahr Chief Operating Officer bei Instagram, sagt: »Wir wollen den Druck beseitigen, perfekt sein zu sein müssen.« Ein hehres Ziel, das am Ende nur gelingen kann, wenn die Nutzer es selbst wollen. Wem man folgt, ist immer noch die eigene Entscheidung.
Martina Schuegraf, promovierte Medienwissenschaftlerin und Vorstandsmitglied in der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur, sagt: »Viele Studien konzentrieren sich nur auf die Mainstream-Profile wie die Mode- und Fitness-Bloggerinnen Caro Daur oder Pamela Reif und finden am Ende immer wieder Ähnliches heraus.« Vor zwei Jahren führte Schuegraf eine qualitative Studie über die Beziehung zwischen Influencern und Nutzern durch. Darin fand sie heraus: »Instagram ist ein riesiger Kosmos, in dem sich sowohl Nutzer als auch Influencer vielmehr inspirieren statt beeinflussen lassen.« Sofern die Themen und Produkte, für die Influencer stehen, glaubwürdig präsentiert würden. »Authentizität ist nicht das Gegenteil von Inszenierung«, sagt sie. Nutzer suchen auf Instagram Themen, die sie interessieren, und entsprechende Profile, die diese bedienen. Das kann auch, so wie bei Pamela Reif, Sport sein. »Für Follower ist relevant, dass das, was sie sehen, glaubwürdig ist«, sagt Schuegraf. Oder dass es ihnen zumindest dieses Gefühl vermittelt.
Jeder Post, jede Story, jede Caption – alles auf Instagram ist Inszenierung, weil die Plattform und die Nutzer so funktionieren. Das Leben ist dort immer Ausstellung, jeder kuratiert sein Selbst.
Wichtig ist, so Schuegraf, dass ein Instagram-Profil eine sogenannte Kohärenz erzeuge, sich also stimmig präsentiere. »Es geht auf Instagram um eine authentische Inszenierung«, sagt sie. Das ist es auch, was Juri bei seinem Schweizer Kumpel so irritierte. Dessen eigentliche Coolness kam auf seinem Account nicht rüber. Gleiches galt bei manchem für das Posten einer schwarzen Kachel: Wenn das Modemagazin Elle Germany in seiner Titelgeschichte eine schwarze Hautfarbe etwa zum Trend erklärt (»Back to black«) und dann sieben Monate später eine schwarze Kachel postet, empfinden das viele nicht als authentisch. »Glaubt ihr, IRGENDJEMAND kauft euch das ab????«, kommentierte etwa der Modejournalist Dogukan Nesanir.
Dazu kommt das Grundproblem der Ästhetik, der Lehre vom Schönen: Es gibt keine Allgemeingültigkeit von Wahrnehmung. »Bei der Betrachtung von Dingen ist die Subjektivität immer ausschlaggebend für das, was wir darin sehen. Erst im Akt der Betrachtung wird Bedeutung generiert«, sagt die Medienwissenschaftlerin Martina Schuegraf. Was wir auf Instagram sehen, wird also erst zu dem, was es ist, indem wir es betrachten. Welches Fach wir studieren, woran wir glauben, was wir als gerecht empfinden, all das prägt, ob wir in der schwarzen Kachel nun einen solidarischen antirassistischen Beitrag, eine billige Marketingaktion oder einfach nur ein schwarzes Viereck sehen.
DIE GESCHICHTE
Was wir auf Instagram schön finden, veränderte sich über die Jahre auch durch dessen kontinuierliche technische Weiterentwicklung. Erst kamen die Filter, dann die Storys, jetzt die Reels. Instagram tut einiges dafür, dass wir möglichst viel Zeit auf der Plattform verbringen, das ist Teil ihres Geschäftsmodells. Im vergangenen Jahr hat das Unternehmen mit 20 Milliarden US-Dollar ein Viertel des Umsatzes des Mutterkonzerns Facebook erwirtschaftet. Mit den Storys gewöhnte man sich daran, vor der Handykamera zu sprechen, mit den AR-Filtern an neue Schönheitsbilder, Memes und Spiele. Und mit der Swipe-up-Funktion kann man endlich rüber ins restliche Internet, zu Texten, Online-Shops und Petitionen.
All diese Features prägten also die Nutzer und führten auch zu dem Druck, der Menschen wie Juri mit Instagram hadern ließ.
Dabei ereignete sich der erste prominente Insta-Exit fünf Jahre nach der Gründung, etwa um dieselbe Zeit, als sich auch der Begriff »Influencer« etablierte: 2015 wurde die damals 19-jährige australische Influencerin Essena O’Neill international bekannt, als sie ihr Profil in Social Media Not Real Life umbenannte, rund 2000 Fotos löschte und unter die übrigen schrieb, wie das jeweilige Bild entstanden war. Sie habe etwa 100 Fotos machen müssen, bis ein Bikinifoto perfekt ausgesehen habe. Drei Jahre später häuften sich Getting Real-Postings. Auch in Deutschland trendete #fürmehrrealitätaufinstagram. Body-Positivity-Aktivistinnen gaben zu, ihren Körper an manchen Tagen ebenfalls zu hassen, Fashion-Blogger sprachen über Depressionen, und ehemalige Fitness-Blogger engagierten sich für Fridays for Future.
Es war ein Befreiungsschlag, aber auch der Beginn einer neuen Inszenierung. Sinnfluencer nennen sich die, die zwar noch immer über Make-up, Mode und Fitness sprechen, aber nun auch über politische und gesellschaftliche Themen. Sie wollen nicht mehr fünf T-Shirts im Sale shoppen, sondern ein nachhaltig produziertes. Sie wollen Haltung zeigen, wenn sie wütend sind über die Klimakrise oder soziale Ungerechtigkeit. Sie wollen Teil von etwas sein, das auch unter dem Begriff passion economy bekannt ist: Wirtschaft mit Sinn.
DIE SINNFLUENCERIN
Eine der erfolgreichsten Instagramerinnen Deutschlands ist Diana zur Löwen, 25, mit fast einer Million Followern. Ihre Internetkarriere begann mit 16, damals sprach sie auf YouTube hauptsächlich über die neueste Sommerkollektion oder ihre Fitness-Routine. Das änderte sich, als sie vor drei Jahren den damaligen Präsidenten der EU-Kommission Jean-Claude Juncker interviewen sollte. »Ich weiß noch, wie ich dachte: Wer ist das denn?«, sagt sie. Und dann zu sich selbst: »Mann, Diana, wie kann man denn so gar keine Ahnung von Politik haben?«
Doch kurz danach hatte die Pressestelle des EU-Parlaments Kontakt zu Diana aufgenommen, um so auch Menschen zu erreichen, die sich vielleicht nicht per se für Politik interessieren. Wie auch die Influencerin selbst. Danach aber, so erzählte sie, habe sie sich politisiert und ihre Abonnenten ausgemistet. »Wenn ich nur Fashion- Blogs folge, weiß ich vielleicht, wann die nächste Fashion Week ist, nicht aber die nächste Wahl«, sagt sie.
Seit etwa einem Jahr äußert sich Diana zur Löwen, die einen Bachelor in BWL hat, nun zu den Themen Nachhaltigkeit, Feminismus und Politik. »Ich bin selbst wie eine Art Medium«, sagt sie. Um ihren Followern die Situation der Geflüchteten auf Lesbos zu erklären, interviewte sie im Live-Stream den Europapolitiker der Grünen Erik Marquardt. Um zu verstehen, wie ein Bundestagsabgeordneter arbeitet, begleitete sie den CDU-Politiker Philipp Amthor bei der Arbeit. Und um über nachhaltiges Influencen zu sprechen, hielt sie einen Vortrag bei einem Online-Panel von Fridays for Future. Ihrem Erfolg schadete das nicht, Dianas Kanal wuchs weiter, auch wenn manche belächeln, wie sie zu ihren Followern spricht. Diana macht keine großen Analysen, sie erklärt in einfachen Worten, und dann postet sie, wie sie ein Stück Haarseife benutzt. Es scheint trotzdem für alle Beteiligten eine Win-win-Situation: Dianas Follower bekommen Input und die Politiker einen Kanal, über den sie ihre Botschaften in einer jungen Zielgruppe platzieren können.
Dass sie dabei auch nicht alles richtig macht, erlebte Diana Anfang März, als sie den Afrika-Korrespondenten des Handelsblatts interviewte, Wolfgang Drechsler. Als dieser rassistische Erklärungen von sich gab (»Wir müssen Afrika zu verstehen geben: Nein, ihr könnt eure Bevölkerung nicht einfach zu uns exportieren«), nickte Diana. Es folgte ein Shitstorm, erst auf Twitter, dann auf Instagram. Der Journalist Malcolm Ohanwe teilte das Video etwa in seiner Story und schrieb: »Ich habe selten so ein widerliches und rassistisches Video gesehen.« Diana sagt heute: »Ich hatte danach tagelang Bauchschmerzen, weil mir das so leidgetan hat, dass ich damit so viele Leute verletzt habe.« Das Video hat sie mittlerweile gelöscht und dafür ein anderes hochgeladen. In Mein Shitstorm & Learning daraus / Rassismus In Deutschland bespricht sie mit der Radiomoderatorin Koku Musebeni den Rassismus in Drechslers Aussagen. »Ich habe dazu gestanden: Okay, Leute, ich hab was richtig Dummes gemacht«, sagt sie, »und ich hab es jetzt verstanden, und ich will es euch jetzt auch mitgeben.«
Aber ist das authentisch? Manche sehen in Dianas Videos eine notwendige Reaktion auf medialen Druck, andere freuen sich über ihre Lernbereitschaft, wieder andere erkennen nur einen weiteren Beitrag zur digitalen Imagepflege. Es kommt wie so oft auf Insta auf die Erwartungshaltung und die Perspektive an. Diana sagt, ihr sei letztlich das Urteil ihrer Follower wichtig. Und die hätten sich »bedankt!«, sagt sie. »Viele haben mir geschrieben, dass sie auch erst nicht verstanden hätten, was genau rassistisch daran gewesen sei. Genau wie ich sind meine Follower eben nicht nur erwachsener, sondern auch politischer geworden. Und genau wie ich müssen sie noch ein paar Dinge lernen.«
Was in Dianas Aussage klar wird: Instagram ist auch ein Ort, an dem sich die Entwicklung der jungen Gesellschaft betrachten lässt. Vor zehn Jahren war der Großteil der Instagram-Nutzer noch Teenager, Abiturientin oder Erstsemester. Er oder sie postete Selfies mit der Freundin, am Strand in Thailand oder von der ersten WG- Party. Dass wir daneben heute schwarze Kacheln und Demo-Aufrufe sehen, liegt auch an der Zeit, die seitdem vergangen ist. Der Brexit, die Wahl Trumps, die Klimakrise und zuletzt natürlich die Corona- Pandemie: Für Menschen unter 25 Jahren sind all diese Ereignisse die ersten relevanten und politischen Zäsuren ihres Lebens. Wie diese sie geprägt haben, zeigen sie heute auch auf Instagram.
Die Deutsche Telekom befragte in einer Studie mehr als 4000 Menschen zwischen 16 und 26 Jahren. 83 Prozent gaben an, dass die Rolle der sozialen Medien wichtig sei, um sich gegen Ungerechtigkeit zu wehren.
Die Jungen wollen also etwas tun. Und auf Instagram glauben sie gehört zu werden.
DIE AKTIVISTIN
Dass sich Instagram politisiert hat, bemerkte auch das Unternehmen selbst. Justin Osofsky, COO, sagt: »Wir sehen immer mehr Menschen, die Instagram für sozialen Aktivismus nutzen.« Angefangen habe das schon vor ein paar Jahren, als LGBTQIA* ihren höchsten Feiertag, den Pride, auch auf Instagram zelebrierten. Instagram spiegele den sozialen Aktivismus wider, der in der Welt vor sich gehe, sagt Osofsky. »Was wir machen, ist, dabei zu helfen, auch den marginalisierten Menschen eine Stimme zu geben.« Schon im Februar 2019 fügte Instagram den Sticker #shareblackstories hinzu, um auf den Black History Month aufmerksam zu machen.
Die Aktivistin und Volontärin bei der Hamburger Morgenpost Charlotte Nzimiro, 27, gehört zur deutschen BIPoC-Community (Black, Indigenous and Persons/People of Color). Was Diskriminierung mit ihr macht, thematisierte Charlotte schon mit elf Jahren, lange bevor sie ein Smartphone besaß. Im Kino sah sie damals den Film 7 Zwerge – Männer allein im Wald. In einer Szene lässt die Königin nach dem Jäger rufen. Ein schwarzer Mann öffnet die Tür. Da sagt ein Berater der Königin: »Den Jäger, nicht den N…« Der gesamte Kinosaal lachte. »Dieses eine Wort kann einem echt alles vermiesen. Ich habe mich so erniedrigt und beobachtet gefühlt«, sagt Charlotte. Am nächsten Tag schrieb sie einen Brief an die Produktionsfirma, der Film habe sie verletzt. Er blieb unbeantwortet.
Fünfzehn Jahre später, Anfang 2019, startete Charlotte auf Instagram @blackpowergermany, wo sie über schwarze Geschichte und berühmte Persönlichkeiten wie die Bürgerrechtlerin Rosa Parks aufklärt. »Ich will den Menschen vor Augen führen, wie lange wir eigentlich schon für die gleichen Sachen kämpfen.« Heute folgen ihr zwar sehr viel weniger Menschen als Diana, rund 13.000, dafür ist ihre Community sehr aktiv.
Charlotte begreift ihren Insta-Kanal als »Bildungsarbeit«. Es ist ein Wort, das nicht nur unter BIPoC, sondern auch unter anderen Aktivisten oft zu hören ist. »Wir versuchen Bildungslücken zu schließen«, sagt sie. Charlotte zählt auf, ohne eine Pause zu machen: Alltagsrassismus, die Kolonialgeschichte, der Völkermord an den Herero und Nama, Polizeigewalt, Rassismus am Arbeitsplatz, Antirassismus. Das alles seien Themen, über die sie oder andere Aktivistinnen wie Tupoka Ogette seit Jahren aufklären. 2018 folgten Ogette ein paar Tausend, heute sind es mehr als 100.000, und ihr Buch Exit Racism ist zum Bestseller geworden. Auch das hat wahrscheinlich mit den #blacklivesmatter-Protesten und der schwarzen Kachel zu tun.
»Instagram wurde für uns nicht nur zu einem Safe Space, an dem wir uns mitteilen und zuhören konnten. Wir können hier auch anderen Schwarzen die Last nehmen, sich immer wieder zu erklären, weil sie zum Beispiel einfach einen Post verschicken können und nicht selbst nach Worten suchen müssen.« Doch auch wenn Instagram als nette Plattform gilt, kann sie genauso hässlich sein. Aktivistinnen wie Charlotte erhalten nahezu täglich Hassnachrichten. Unter ihren Postings, aber auch als private Nachricht: Charlotte sagt: »Ich erfahre schon mein Leben lang Rassismus. Das heißt nicht, dass es nicht mehr wehtut. Ich musste lernen, damit umzugehen.«
Am 19. Dezember 2019 bekam Charlotte in der Hamburger U-Bahn eine Push-Mitteilung: »Schwerin: AfD-Abgeordneter durfte ›N…‹ sagen.« Noch in der Bahn begann sie zu tippen. Eine Petition dagegen auf Change.org. Beim Aussteigen postete sie diese auf @blackpowergermany. »Erst dachte ich, das liken wieder nur fünf Leute«, sagt Charlotte. Doch fast alle ihrer damals mehr als 2000 Follower teilten die Petition, erzählt sie. Einen Tag später hatten mehr als 10.000 Menschen unterschrieben, ein paar Wochen später meldete Charlotte ihre erste Demonstration auf dem Hamburger Rathausmarkt an. Es kamen mehrere Hundert.
Wie wichtig ist ihr Authentizität? Beim #blackouttuesday zeigt sie sich unentschlossen. »Ich fand es tatsächlich schön, fast mein ganzes Instagram schwarz zu sehen, weil es mir das erste Mal gezeigt hat, dass wir nicht nur von anderen Minderheiten gesehen werden.« Andererseits sei da auch die Angst gewesen, dass die Solidarität wieder abflache, dass Menschen nur eine schwarze Kachel posten, und das war’s. »Aber ich glaube, dass dieses Jahr und gerade Instagram echt etwas verändert haben. Wir sprechen über Rassismus in Deutschland«, sagt sie.
Zehn Jahre Instagram haben die junge Gesellschaft also geprägt. Doch die junge Gesellschaft hat auch Instagram geprägt. Juri Papenberg und seine Freunde zeigen sich zwar noch immer so, wie sie gern gesehen werden möchten. Verändert haben sich allerdings die Dinge, die sie dabei präsentieren: nicht mehr nur den Hafer-Latte, sondern manche auch die schwarze Kachel und den Demo-Aufruf. Das Private wird politisch, weil alles politischer geworden zu sein scheint. Denn auch wenn Models, Schauspieler und Fußballer immer noch die Stars der Plattform sind, gibt es dort mittlerweile noch so viel mehr zu entdecken. Aus ehemaligen Beauty-Influencerinnen wie Diana zur Löwen sind Sinnfluencer geworden und aus marginalisierten Gruppen wie den BIPoC um Charlotte Nzimiro Aktivistinnen. Instagram bildet heute die Bandbreite der jungen Gesellschaft ab. Was ihr in den nächsten zehn Jahren wichtig werden wird, dürften wir dort also weiter beobachten können.