Warum bildet der Staat einen Staatsfeind aus? / ZEIT Campus / Dezember 2020
Brian E. stürmte mit Neonazis den Leipziger Stadtteil Connewitz. Dafür wurde er rechtskräftig verurteilt. Warum darf er sein juristisches Referendariat beenden?
Es ist der 8. Juni 2020, und in einem sanierten Fabrikgebäude im Leipziger Westen schreiben rund 80 Studierende der Rechtswissenschaft um 8.30 Uhr ihr zweites Staatsexamen, die vierte von acht Klausuren, fünf Stunden Zivilrecht. Danach gehen einige raus, eine rauchen. Dabei werden sie Zeugen einer Szene, die vier von ihnen später so beschreiben: Ein weißer VW-Transporter fährt vor, dahinter ein Polizeiauto. Im Transporter warten schwarz gekleidete und mit Sturmhauben vermummte Männer. Zu ihnen steigt ein Mann mit Glatze und rotem Vollbart, der eben noch mit in der Prüfung saß.
Der Mann ist Brian E., 27, ein etwa zwei Meter großer Kampfsportler, der wegen der Beteiligung an einem Neonazi-Angriff rechtskräftig verurteilt wurde. Über seine Ausbildung wird seit vier Jahren gestritten. An seiner Fakultät, an der Uni und unter jungen Juristen.
Was viele nicht verstehen können: Warum darf einer wie E. als Rechtsreferendar ausgebildet werden, das zweite Staatsexamen mitschreiben und danach möglicherweise als Anwalt arbeiten?
ZEIT CAMPUS hat mit Kommilitonen, Anwälten und Richtern gesprochen. Sie wollen anonym bleiben, weil sie sich vor E. fürchten und davor, auf Feindeslisten von Neonazis zu landen.
Brian E. hat sich zu den Vorwürfen nicht geäußert.
DER ANFANG
Am 11. Januar 2016 beginnt der Streit um Brian E. Am Abend feiert der Pegida-Ableger Legida in der Leipziger Innenstadt mit rund 3000 Menschen seinen ersten Jahrestag, die Hooligan-Band Kategorie C spielt Happy Birthday. Zeitgleich ziehen rund 300 Neonazis und rechte Hooligans mit Eisenstangen, Totschlägern und Äxten durch den fünf Kilometer entfernten Stadtteil Connewitz, in dem „Refugees Welcome“-Transparente von Balkonen hängen und Anwohner regelmäßig gegen Legida demonstrieren. Die Bilanz des Abends der Polizei Leipzig: 23 beschädigte Kneipen und Geschäfte, ein gezündeter Sprengsatz in einem Dönerimbiss und mindestens fünf verletzte Menschen.
Rechtsextreme von der NPD und der „Brigade Halle“ feiern diese Nacht auf Facebook und Twitter als „Sturm auf Connewitz„. Ein Leipziger Historiker spricht vom verheerendsten rechtsextremen Angriff seit der Reichspogromnacht am 9. November 1938, der SPD-Bürgermeister von „Straßenterror“. Die Polizei setzt 216 Angreifer fest, darunter bekannte rechte Gewalttäter aus ganz Deutschland und ein Jurastudent im siebten Semester aus Freital, der in seiner Freizeit boxt und als Türsteher in einem unter Leipziger Hooligans beliebten R ’n’ B-Club, dem Club Velvet, arbeitet: Brian E.
DIE VORGESCHICHTE
E. ist kein Posterboy der „Neuen Rechten“ mit YouTube-Kanal und Instagram-Account wie Martin Sellner, das Gesicht der rechtsextremen Identitären Bewegung in Österreich. E. scheint seine Privatsphäre heute zu schützen und ist in den sozialen Netzwerken nicht zu finden. Das war nicht immer so.
Bevor E. nach Leipzig zieht, studiert er in Dresden Law in Context auf Bachelor. Ein Kommilitone, er soll hier Anton heißen, erzählt, es sei schon damals klar gewesen, „wie Brian tickt“. Er sei mit Rechtsextremen auf Facebook befreundet gewesen und habe Shirts von Thor Steinar getragen, einer Marke, die Rechtsextreme laut sächsischem Verfassungsschutz „stark favorisieren“. „Das fügte sich zu einem Mosaik zusammen, auch wenn er in der Uni nie durch rechtsextreme Sprüche aufgefallen ist“, sagt Anton. „Er hat in Diskussionen auf unpolitische Themen gelenkt und sich lieber übers Angeln unterhalten.“ Dass E. in seiner Freizeit anders unterwegs war, sei spätestens dann klar geworden, als er wegen gefährlicher Körperverletzung vorm Amtsgericht Dippoldiswalde stand. „E. auf seine womöglich rechtsextreme Gesinnung anzusprechen, trauten wir uns damals nicht“, sagt Anton.
Als er dann 2013 verurteilt wird, lebt E. bereits in Leipzig. Dort hält er sich an der Uni bald nicht mehr zurück. In einer Strafrechtsvorlesung zwei Jahre später nennt E. die Demos von Legida, bei denen immer wieder Journalisten und Gegendemonstranten angepöbelt werden, eine „demokratische Veranstaltung“, erinnert sich ein weiterer Kommilitone, der hier Michael heißt. Andere schildern, wie E. in der Bibliothek oder der Mensa in der linken Szene aktive Studierende als „Scheißzecken“ beleidigt und sie bedroht habe: „Wir könnten auch mal eben um die Ecke gehen.“
Der Konflikt erreicht im Oktober 2017 einen Höhepunkt. Unbekannte zünden E.s Motorrad an, eine Honda CBR 600 F, die in der Nähe seiner WG geparkt ist. Auf der linksradikalen Plattform Indymedia wird ein anonymes Bekennerschreiben veröffentlicht: „Wir haben in den Morgenstunden des 19. Oktober 2017 das Motorrad des Leipziger Neonazis Brian E. in Brand gesetzt. (…) Vorrangig ist das Abfackeln seines Motorrads aber eine Antwort auf den Angriff auf Connewitz.“
E.s Ruf spricht sich auch außerhalb der Fakultät herum. „Fast jeder an der Uni wusste, wer er war und mit wem er sich umgab“, sagt Michael. Auf WG-Partys und in der Mensa beginnen seine Kommilitonen zu diskutieren: Was ist, wenn so einer mal Staatsanwalt oder Richter wird? Doch noch unternimmt keiner von ihnen etwas.
DIE AUSBILDUNG
Damit Juristen Anwälte, Staatsanwälte oder Richter werden können, müssen sie das zweite Staatsexamen schreiben. Damit sie dafür zugelassen werden, müssen sie vorher ein Referendariat ableisten, eine zweijährige Ausbildung mit mehreren Praxisstationen in Gerichten, Kanzleien und Behörden. Vor dieser Ausbildung müssen sie eine Erklärung ihrer Verfassungstreue unterschreiben. Auch E. unterschreibt sie irgendwann, vermutlich im Laufe des Jahres 2018.
Was Michael und andere Referendare nicht verstehen können: In der Sächsischen Ausbildungs- und Prüfungsordnung heißt es damals, die Aufnahme ins Referendariat müsse „in der Regel versagt werden, wenn der Bewerber wegen einer vorsätzlich begangenen Tat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr rechtskräftig verurteilt und die Strafe noch nicht getilgt worden ist“. Zudem kann die Aufnahme verweigert werden, wenn „ein Ermittlungsverfahren oder ein Strafverfahren wegen des Verdachts einer vorsätzlich begangenen Tat anhängig ist“, das zu einer entsprechenden Verurteilung führen kann. Ein Verfahren wie das zur Nacht in Connewitz also. Schon nach den ersten Urteilen gegen andere Connewitz-Gewalttäter scheint sicher: Das Strafmaß wird höchstwahrscheinlich mehr als ein Jahr Haft auf Bewährung betragen.
„Für uns war also klar, dass E. entsprechend verurteilt werden würde“, sagt Michael, der zur selben Zeit wie E. sein Referendariat beginnt. Michael und viele Kollegen sind überzeugt: E. darf sein Referendariat nur beginnen, weil er noch nicht verurteilt ist. Doch sie wundern sich, warum das OLG Dresden als Dienstherr nicht eine Ermessensentscheidung trifft und ihn bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung beurlaubt. Das OLG schreibt dazu auf Anfrage: „Der bekannte Tatvorwurf wird bei der Auswahl der Tätigkeitsfelder im Rahmen der praktischen Ausbildung berücksichtigt.“
Im November 2018 beginnt E. sein Referendariat am Landgericht Chemnitz. Eine Auflage: Er darf dort nicht in sensiblen Abteilungen wie dem Staatsschutz arbeiten.
DER PROZESS
Am 28. November 2018 um 9 Uhr im Saal 257 am Amtsgericht Leipzig beginnt der Prozess gegen Brian E. Er trägt einen dunkelblauen Anzug, seine Glatze sieht aus, als sei sie frisch rasiert, und wenn er spricht, zittert seine Stimme. Als er aussagt, wehrt er sich dagegen, als Neonazi abgestempelt zu werden. „Ich bin ein vielseitig politisch interessierter Mensch“, sagt E. Weder rechts noch links. Seine rechte Szenekleidung will er ebenfalls nicht als politisches Statement verstanden wissen, dass er im Internet auf Fotos mit zentralen Akteuren der rechtsextremen Identitären Bewegung zu sehen ist, sei Zufall. Er beklagt, dass er deswegen unberechtigterweise als Neonazi bezeichnet und von antifaschistischen Gruppen bedroht werde.
Seine Aussage entspricht der Strategie der Rechten: Wie so oft, wenn AfD-Politiker oder andere Personen aus dem rechtsextremen Spektrum für ihre Wortwahl in der Kritik stehen, wollen sie meist nichts davon gewusst haben, oder alles sei anders gemeint gewesen, sie stilisieren sich als missverstandene Opfer falscher Beschuldigungen oder unglücklicher Umstände.
E. bestreitet auch, bei den Zerstörungen in Connewitz mitgemacht zu haben. „Mein Ansinnen war es, ein Zeichen gegen Gewalt zu setzen“, sagt er. Mit dem Rad sei er zum Connewitzer Kreuz gefahren und sei dort auf eine Gruppe getroffen, die ihn gefragt habe: „Bist du ’ne Zecke? Nein? Dann schließ dich an!“ Als die Vermummten um ihn herum Autos zertrümmerten und Schaufenster einschlugen, habe er, der Hobby-Kampfsportler, sich nicht getraut, die Szenerie zu verlassen. Er spricht von Hünen, die ihn bedroht hätten.
Das Gericht nimmt ihm das nicht ab. Die Staatsanwältin hält ihm in ihrem Plädoyer nach sechs Stunden Verhandlung vor: „Sie hätten es noch mehr als jeder andere wissen müssen.“ Gerade einem Jurastudenten müsse klar sein, dass etwas falsch laufe, wenn eine Gruppe größtenteils vermummt und bewaffnet durch ein Wohnviertel zieht. Brian E. wird wegen besonders schwerem Landfriedensbruch zu einem Jahr und vier Monaten auf Bewährung verurteilt. Er wirkt geschockt, blickt flehend zur Richterin.
Mit diesem Urteil hätte seine juristische Laufbahn vorbei sein können, die Freiheitsstrafe verstößt gegen die geltende Ausbildungs- und Prüfungsordnung. Doch weil E. Berufung einlegt, wird das Urteil nicht rechtskräftig. Deshalb habe er sein Referendariat fortsetzen dürfen, erklärt das OLG Dresden.
„Da kam uns zum ersten Mal der Gedanke, dass es E. gelingen könnte, die Rechtskraft seiner Verurteilung taktisch herauszuzögern, um sein Referendariat zu beenden“, sagt Michael. Ein halbes Jahr später beschließen er und die Referendare, etwas zu unternehmen.
DAS TATTOO
Am 1. Juni 2019 postet das Leipziger Bushido Muay Thai & Free Fight Team ein Foto auf seiner öffentlichen Facebook-Seite. Ein Sportler blickt darauf zufrieden in die Kamera, eine Hand zur Faust geballt, in der anderen einen Pokal mit der Prägung „Fight Night Gmunden 2019“. Auf seiner nackten Brust ist eine großflächige Tätowierung zu sehen, in die eine sogenannte schwarze Sonne, mehrere angedeutete Hakenkreuze und das Logo der SS-Division Wiking eingearbeitet sind. Der Mann auf dem Foto ist Brian E. und die schwarze Sonne laut Verfassungsschutz eines der Lieblingssymbole der Rechtsextremen. Es besteht aus drei übereinandergelegten Hakenkreuzen beziehungsweise zwölf ringförmig angeordneten Sieg-Runen und ist ein Symbol der SS. Das Symbol ist in Deutschland, anders als das Hakenkreuz, nicht strafbar. Auch deswegen ist es ein so beliebtes Erkennungszeichen.
„Als das mit dem Tattoo durch die Medien ging, hat es uns gereicht“, sagt Michael. Zehn Referendare aus Sachsen formulieren in abendlichen Treffen einen offenen Brief an das OLG Dresden. Nach vier Wochen Diskussion unterschreiben 332 von rund 400 sächsischen Referendarinnen und Referendaren. Viele haben Angst, deshalb setzen nur 134 ihren Namen darunter. Die Referendare schreiben: „Nach unserer Auffassung sind derartige Tätowierungen (…) nicht mit dem Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung in Einklang zu bringen.“ Am 9. Juli 2019 geht ihr Brief beim OLG Dresden ein.
Das OLG kündigt noch in derselben Woche an, die Verfassungstreue von E. zu prüfen. Dessen Präsident hat E. in der Zwischenzeit wegen der Hakenkreuze im Tattoo angezeigt: wegen Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Weitere Konsequenzen wolle man jedoch vom Ergebnis der Ermittlungen abhängig machen, erklärt das OLG. Solange Brian E. nicht rechtskräftig verurteilt ist, wird er Referendar bleiben.
DIE BERUFUNG
Am Morgen des 12. November 2019 ist der holzvertäfelte Saal 14 im Leipziger Landgericht bis auf den letzten Platz gefüllt. Viele Studierende sind gekommen, ein Kamerateam des MDR und die Bild. Es ist der dritte Anlauf der Berufungsverhandlung, eigentlich hätte das Verfahren schon im Sommer beginnen sollen. Doch zum ersten Termin meldete sich E. krank, zum zweiten erhielt das Gericht eine halbe Stunde vor Verhandlungsbeginn ein ärztliches Attest per Fax: E. sei am Vorabend beim Training k. o. geschlagen worden und nicht verhandlungsfähig. Eine Amtsärztin bestätigt später, der Angeklagte habe wirklich eine Gehirnerschütterung. Der Kommilitone @der_wolf_aus_dd twittert: „Der rechtsradikale #Rechtsreferendar Brian E. tanzt der Sächs. #Justiz weiter auf der Nase herum und erscheint erneut nicht zur #Connewitz-Berufungsverhandlung“.
Nun also der dritte Versuch. E.s Fall ist zum Politikum geworden. Sein Verteidiger wirft der Staatsanwaltschaft unlautere Methoden vor und fordert in dem für ihn längst politisch motivierten Prozess nun keine milde Strafe mehr für seinen Mandanten, wie noch in erster Instanz, sondern einen Freispruch.
Am Mittag beantragt die Staatsanwaltschaft, den tätowierten Oberkörper des Angeklagten begutachten zu dürfen. Brian E. ereifert sich, er habe doch bereits mehrfach gesagt, dass er kein Neonazi sei. „Wollen Sie jetzt die Tätowierung über meine persönliche Gesinnung stellen?“, sagt er und behauptet, fast schreiend und mit den Armen rudernd, das Foto sei gefälscht. „Meine politischen Ansichten entsprechen vielleicht nicht der Mehrheitsmeinung“, sagt er. „Trotzdem: Verstehen Sie mal, dass ich kein Neonazi bin.“ Die Richterin lehnt den Antrag der Staatsanwaltschaft ab: Die Tätowierung spiele für den angeklagten Sachverhalt keine Rolle.
Nach drei Verhandlungstagen bestätigt die Richterin das erste Urteil: Ein Jahr und vier Monate auf Bewährung. Brian E. beantragt Revision. Das bedeutet: Das Urteil ist immer noch nicht rechtskräftig, er arbeitet weiter als Referendar.
Im parallel laufenden Verfahren wegen seines Tattoos argumentiert E. anders. Er sagt, die Tätowierung habe einen nordisch-griechischen, keinen nationalsozialistischen Hintergrund. Das Verfahren wird eingestellt. Eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft erklärt, die Behauptung habe nicht widerlegt werden können. Unter Rechtsextremen ist es beliebt, mit der Bedeutung von Symbolen zu spielen.
DER ZWEITE BRIEF
Am 21. April 2020 wird die Revision zurückgewiesen. Sechs Wochen vor den Prüfungen zum zweiten Staatsexamen ist er offiziell und rechtskräftig für seine Beteiligung am „Sturm auf Connewitz“ verurteilt: Landfriedensbruch in einem besonders schweren Fall, Paragraf 125 Abschnitt 1 StGB. Ein Referendariat dürfte E. nun wohl nicht mehr beginnen. Aber beenden darf er es, entscheidet das OLG. Weil seine Ausbildung so weit fortgeschritten sei, habe das Grundrecht auf freie Berufswahl, Artikel 12 Grundgesetz, bei dieser Entscheidung überwogen, erklärt eine Sprecherin. „Die Entlassung des Referendars aus dem juristischen Vorbereitungsdienst würde bedeuten, dass er die Ausbildung nicht abschließen kann und ihm damit das Ergreifen eines juristischen Berufes auf Dauer verwehrt wäre.“
Brian E.s Mitreferendare, die mittlerweile einen Zeitstrahl angelegt haben, um die Entwicklungen im Fall nicht aus den Augen zu verlieren, macht das wütend. „Ich denke, unseren Ausbildern fiel die Entscheidung nicht leicht. Trotzdem wollten viele Referendare das nicht hinnehmen“, sagt Michael. Am 29. Mai schreiben seine Kollegen einen zweiten Brief an ihre Ausbildungsbehörde, den sie auch auf einem Blog veröffentlichen. Der Brief ist eine Anklage auf sechs Seiten: „Als Jurist:innen und Referendar:innen können wir die politisch unverantwortliche Entscheidung des OLG nicht unkommentiert stehen lassen“, schreiben sie. „Wie soll jemand, der wegen schweren Landfriedensbruchs verurteilt wurde und medial bekannt in rechtsextremen Kreisen aktiv ist, für die freiheitlich demokratische Grundordnung der BRD einstehen?“
Der OLG-Präsident antwortet den Referendaren im Juli 2020, acht Wochen später, ebenfalls in einem Brief. Die Stärke eines Rechtsstaates gegen „Extremismus von jeder Seite“ zeige sich auch darin, schreibt er, wie konsequent der Staat an seinen Grundprinzipien festhalte: „Ein Grundprinzip unserer Rechtsordnung ist die Freiheit, womit immer auch die Freiheit der Andersdenkenden gemeint ist.“
Dass E. mit seiner Vorstrafe mal als Staatsanwalt oder Richter verbeamtet wird, scheine außerdem sehr unwahrscheinlich, schreibt das OLG. Die Rechtsanwaltskammer Sachsen, die ihn bei bestandenem zweitem Staatsexamen als Anwalt zulassen müsste, will sich zu E.s möglicher Aufnahme nicht konkret äußern. Sie verweist auf Anfrage nur auf die allgemeinen Grundsätze ihres Zulassungsverfahrens, nach denen man Antragstellern die Zulassung versagen könne, falls sie etwa „die freiheitlich demokratische Grundordnung in strafbarer Weise bekämpfen“.
Das könnte auf E. zutreffen, muss es aber nicht.
DIE NOVELLE
Vier Jahre nach dem „Sturm auf Connewitz“, zwei Jahre nach E.s erster Verurteilung und anderthalb Jahre nach dem ersten Brief der Referendare gibt es immer noch viele Konjunktive in dem Fall. Und doch scheint dieser schon eine Veränderung angestoßen zu haben: Während E. auf das Ergebnis seiner schriftlichen Prüfungen wartet, beginnt das sächsische Justizministerium, die Zulassungsordnung für den juristischen Vorbereitungsdienst zu überarbeiten. Bisher hieß es, dass die Aufnahme in das Referendariat versagt werden „kann“, wenn ein Ermittlungsverfahren anhängig ist, das zu einer Verurteilung von mehr als einem Jahr führen kann. Im Entwurf, den das Ministerium am 13. Oktober dem Landtag vorlegt, heißt es nun, die Aufnahme „ist in der Regel zu versagen“. Gleiches soll zukünftig außerdem für Bewerber gelten, die „die freiheitliche demokratische Grundordnung in strafbarer Weise bekämpfen“. Einer wie E. könnte sein Referendariat dann wahrscheinlich nicht mehr antreten.
Auch unter den Rechtsreferendaren wird die Novelle diskutiert. Manche meinen, die bisherigen Regelungen hätten ausgereicht, um E. rauszuschmeißen. „Man hätte ihn schon auf seine Unterschrift unter der Verfassungstreue festnageln müssen“, sagt Michael. „Spätestens nach der Sache mit dem Tattoo war die ja zweifelhaft.“
Ein Rätsel bleibt: Warum haben E. Vermummte abgeholt? Warum folgte dem Transporter ein Polizeiwagen? Schützt der Staat jemanden, der ihn offensichtlich bekämpft, weil er sich selbst von antifaschistischen Gruppen bedroht fühlt? Die Abteilung Staatsschutz des LKA sagt: Brian E. ist hier bekannt. Auf die Frage, ob E. Personenschutz erhalten habe, verweisen sie auf ein laufendes Verfahren: „Daher ist uns die Antwort auf Ihre Frage verwehrt, weil das dahinterliegende Ansinnen ansonsten ad absurdum geführt werden würde.“
Am 8. Oktober teilt das OLG Sachsen den Referendaren ihre Ergebnisse mit. Michael hat bestanden. Ob auch E. bestanden hat, ist nicht bekannt.