El Hotzo

El Hotzo / ZEIT Campus / Dezember 2020

Es gibt Hoffnung auf eine Zeit nach der Pandemie. Wir stellen dreißig Menschen vor, die in diesem Jahr nicht aufgegeben haben. Unter ihnen: El Hotzo

»oh du hast kein Zugticket? Kein Problem, das macht 60€, nein es ist egal ob du dir schon die 3.50€ fürs normale Ticket nicht leisten konntest oder ob du aus dem Zug gleich in einen Lamborghini steigst, es macht für jeden genau 60€ und das ist sehr fair« @elhotzo, 21. August 2020, 9.49 Uhr

Drei Stunden später wartet der Autor dieses Tweets in der Eingangshalle des Bielefelder Hauptbahnhofs: „Hi, ich bin Sebastian“, sagt er und streckt den Ellenbogen entgegen.

Der 24-Jährige ist kein Intensivmediziner, keine Virologin, kein Toilettenpapier-Fabrikant, und doch hat er etwas, was viele gerade in der Krise brauchen: Humor. Sebastian ist ein bissiger, präziser Beobachter und Gegenwartsanalyst, ob es um Gin Tonic (durchschnittlich), das Mittelalter (langweilig) oder Vermieter (gierig) geht.

In seinen Tweets beschreibt er das Ohnmachtsgefühl der jungen Generation in der Corona-Krise ebenso wie die Bindungsangst der Großstadt-Millennials.

Während die Welt in diesem Jahr versackte, feuerte sich @elhotzo auf den Twitter-Thron. Mittlerweile folgen ihm Hunderttausende. Doch wer ist dieser Typ aus Bielefeld? Und wie wurde er so beliebt?

Sebastian führt am Hotel Bielefelder Hof vorbei in Richtung Campus und fängt an, von Bayern zu erzählen. Da ist er 1996 in Forchheim geboren. Er wächst dann in einem 120-Einwohner-Kaff in Oberfranken, mit zwei jüngeren Geschwistern in einem Einfamilienhaus auf. Eine idyllische Kindheit mit viel Fußball im Verein. Bis er, der Torwart, nur noch auf der Bank sitzt.

Mit 14 hört er die Metalcore-Band Bring Me the Horizon, spielt im Schultheater und trägt eine verwuschelte Emo-Frisur. Er mimt den Klassenclown, sagt er. Einmal rennt er ohne Grund aus dem Unterricht, zieht vor der Tür seine Schuhe aus und kommt ohne wieder rein. „Einfach so, damit man über mich lacht.“ Auf der Suche nach Freunden heftet er seine ICQ-Nummer an Pinnwände in der Schule. Niemand meldet sich.

Mit etwa 16 will er so sein wie die anderen und fängt an, Hollister-Pullover zu tragen. „Da sagte meine Mutter zu mir: ‚Du bist ja gar nichts Besonderes mehr’“, erzählt er.

Nach dem Abi will Sebastian weg vom Dorf. Er träumt davon, Autor oder Journalist zu werden. Doch ihm fehlt der Mut, und so fängt er bei Siemens in Nürnberg an. Ein duales Studium in Business Administration, um Geld zu verdienen. Im Großraumbüro tippt er ab 5.30 Uhr Zahlen und Namen in Excel-Tabellen und verkauft Dampfturbinen. Um 17 Uhr ist Feierabend, danach Fifa zocken und im Internet abhängen. „Das hat mich unendlich müde gemacht“, sagt er.

Heute kann man sich diesen Sebastian schlecht im Großraumbüro vorstellen. Wenn er über das vergangene Jahr spricht, all die neuen Follower, die vielen Anfragen, benutzt er oft Worte wie „absurd“ oder „wild“. Und dann steht er vor einem Backshop und staunt über ein Käsebrötchen: „Warum ist da so viel Ei drauf???“

Mit 21 begibt er sich wegen Depressionen in Therapie. Nach ein paar Monaten habe seine Therapeutin gesagt: „Du hast gute Fortschritte gemacht, aber fang doch mal an, Tagebuch zu führen.“ Sebastian sagt, dass er damals dachte: „Okay, aber das ist ja richtig langweilig, wenn das keiner liest.“ Und dann meldete er sich als @elhotzo auf Twitter an. Einer seiner frühen Tweets liest sich so:

„Excel 2003 für Dummies (4€) JA oder NEIN?“ @elhotzo, 30. September 2017, 19.01 Uhr

Nach vier Monaten folgen ihm 100 Leute, die Aufmerksamkeit fühlt sich gut an. Und er schreibt weiter. Zwei Jahre später sucht Sebastian nach Masterstudiengängen, die zu BWL passen, die aber bloß nichts mit BWL zu tun haben sollen. „Ich hatte Angst, dass mein Wissen irgendwann nur noch aus den Zellen in Excel besteht“, sagt er. Und so landet er in Bielefeld im Master History, Economics and Philosophy of Science und bei Philosophen wie Karl Popper und Platon.

Im November 2019 hat er auf Twitter fast 10.000 Follower. Er haut nun so viele Tweets raus, dass ihm manche etwas entgleiten. Er wünscht Reddit-Usern, der Country-Band The BossHoss oder SUV-Fahrern unschöne Dinge und wird dafür von Twitter öfter gesperrt. Heute, sagt Sebastian, würde er so was nicht mehr einfach twittern: „Bis auf die Provokation war daran ja nichts lustig.“

Während er gesperrt ist, bemerkt er: „Es war mir peinlich, dass ich von dieser Online-Plattform so abhängig bin. Aber auf Twitter war ich irgendwie cool, und deswegen hat es mir richtig wehgetan, dass es auf einmal weg war.“ Seinen Fans fehlt El Hotzo ebenfalls. Unter #freehotzo versuchten sie ihren Helden freizupressen und schrieben: „Twitter lass den Hotzo frei!“ Es nützte nichts.

„Deswegen fing das überhaupt mit Instagram an“, sagt er. „Ich wollte archivieren, was ich noch an Tweets hatte, damit nicht alles weg ist.“ Erst im März 2020, als Sebastian nach einer, wie er sagt, „wilden Schlagernacht“ aufwacht, hebt Twitter die Sperre auf. Und El Hotzo schreibt weiter.

»Mittelschicht heißt seine Frau be- trügen und sich für 120€ eine Softshell- jacke kaufen damit man sich bei
den zwei Wochen Sylt-Urlaub im Au- gust keine Erkältung holt« @elhotzo, 1. März 2020, 21 Uhr

Gegenüber vom Bielefelder Bürgerpark bleibt Sebastian vor einem Geschäft stehen. „Das kann nicht sein!“, ruft er. „Ein Lichtschwert-Laden, das gibt’s ja nicht!“ Er hält sich die Faust vors Gesicht. „Es kann nicht sein, dass so viele Leute sagen: ‚Hey, ich will ein Lichtschwert und dazu noch, dass man mich dabei sieht, wie ich das kaufe.‘ Das muss Geldwäsche sein.“

Er wird diese Analyse nicht twittern, obwohl sie seinem Schema entspricht. Seine meisten Tweets funktionieren nicht wie ein klassisches Meme, also ein Gag auf Basis eines vorhandenen Fotos oder Textmusters, das sich dann verbreitet. Hotzo assoziiert frei, die meisten Punchlines bestehen darin, die Absurditäten von Studierenden, Akademikern, gern auch Neoliberalen zu beschreiben und ihre Verhaltensmuster offenzulegen. Sebastian ist ein Meister darin, die Dinge aus einer dritten Perspektive zu betrachten. Sie zu hinterfragen, auch wenn sie schon auserzählt scheinen. In diesen Momenten wird aus Sebastian eine Kunstfigur im Internet: El Hotzo.

Das gefällt vielen, und sie teilen seine Tweets, auf Twitter oder in ihren Instagram-Storys. Irgendwann fühlt sich wirklich jeder mal ertappt. Doch er würde immer nur nach oben oder zur Seite treten, nie nach unten. In seinem erfolgreichsten Tweet geht es um den Generationskonflikt: Jung gegen Alt.

DIE ZEIT

»krass dass man früher noch heftige Frisuren und Piercings tragen musste, um Ältere zu provozieren, heute reicht einfach kein Fleisch essen und of- fensichtliche Probleme ansprechen« @elhotzo, 27. September 2020, 18.11 Uhr

Wohin mit diesem Talent? Im August 2020, ihm folgen jetzt rund 300.000 Menschen, ist Sebastian schon so weit, dass ihn einige für seine Posts bezahlen: 157 Fans schicken ihm über die Social-Payment-Plattform Patreon monatlich 427 Euro. Sebastian hat jetzt auch ein Management, die Agentur Heavy German Shit, von der auch die Comedians Giulia Becker und Florentin Will vertreten werden. Und er plant, nach Berlin zu ziehen, um dort als Autor zu arbeiten.

Doch die Anfragen, die er von Verlagen bekommt, lehnt er ab. Er wolle kein Buch aus seinen Tweets machen, so wie Jan Böhmermann mit seinem „Twitter-Tagebuch“. „Damit würde ich mich vor mir selbst komplett lächerlich machen. Das wäre irgendwie so wie diese SMS-von-gestern-Nacht-Bücher, die heute nur noch auf so WG-Klos rumliegen“, sagt er.

Statt am Bestseller arbeitet er, der abseitige Dinge liebt, mit seinem besten Freund Max Sand an einem Fotoband über das Après-Ski-Touristenziel Willingen im Sauerland. Sie wollen zeigen, wie sich der Ort vom Sauf- zum Familientourismus entwickelt. Und wo es damit noch Probleme gibt.

Max und Sebastian haben sich – natürlich – im Internet angefreundet. Sebastian sagt: „Alles Gute, was mir in den letzten Jahren passiert ist, begann im Internet.“

Im Oktober fahren die beiden wieder nach Willingen. An der Seilbahn zu Siggis Hütte, in der man Erbsensuppe mit Wurst in Bierkrügen serviert, entdeckt Sebastian einen Hund. „Lieeeb“, ruft er, der „Hunde“ auf dem linken und „Beste“ auf dem rechten Bein tätowiert hat.

Max holt seine Kamera aus der Tasche, nicht um den Hund zu fotografieren, sondern eine Gruppe mittelalter Männer, die T-Shirts mit Bierfässern tragen. Alle vier das gleiche. Sebastian taxiert die Männer wie ein Jäger seine Rehe.

Ob El Hotzo gleich twittern wird? „Ich sage, die kennen sich von der Arbeit … das sind Zerspanungsmechaniker, gutes Einkommen, denkt man nicht, aber is so.“ Er macht eine Pause. „Wenn ich als Autor jemals so viel verdienen kann wie mit dem Excel-Tabellen-Ausfüllen im Großraumbüro, dann hab ich’s echt geschafft.“ Sebastian twittert auch die Begegnung mit den Zerspanungsmechanikern nicht.

Auch wenn hinter jedem Tweet eine Beobachtung steckt, ist nicht jede seiner Beobachtungen ein Tweet. Und auch wenn jeder twittern kann, ist nicht jeder wie El Hotzo. Damit bleibt bis zum Ende offen: In welchen Momenten twittert er denn nun, der König?

Am Tresen der Bar C’est la Vie, der „Beer n‘ Steak Location für Genießer und Nachtschwärmer“ und dem letzten Ziel des Abends in Willingen, fotografiert Max gerade ein paar Besucher. Sebastian beugt sich über sein Telefon. Schreibt er eine Nachricht? Nein, das Display ist weiß. El Hotzo schaut hoch, tippt, ein paar Sekunden, konzentriertes Auf-das-Display-Schauen, dann drückt er auf das Symbol eines blauen Papierfliegers, dreht das Handy um und blickt einem wieder in die Augen. „Noch ein Bier?“

»Für Deutsche wird jedes Zimmer zum Wohnzimmer, wenn sie ein schwarz weißes Bild von London aufhängen dürfen, auf dem nur die Busse rot sind« @elhotzo, 9. Oktober 2020, 22.14 Uhr