Stolz & Schön

Stolz & Schön / ZEIT Campus / April 2021

Für Schwarze Haut und Haare gibt es bis heute nur wenige Produkte in Deutschland. Wie Nana, Asita und Adelaide das ändern wollen

Adelaides Kopf brannte zum ersten Mal, da war sie fünf Jahre alt. Ihre Mutter hatte ihr im zehnten Stock eines Hochhauses im Hamburger Stadtteil Farmsen-Berne gerade einen Relaxer in die Haare geschmiert, ein chemisches Glättemittel. Nach zehn Minuten pochte Adelaides Kopfhaut, doch sie sagte nichts. Sie wusste: Je länger die Paste einwirkte, desto glatter würden ihre dicken, lockigen Haare werden und, das sagte ihre Mutter, auch schöner.

Adelaide Wolters erzählt von diesem Moment zwanzig Jahre später vor ihrem Laptop in einem Dorf bei Paderborn. Ihre Haare trägt sie inzwischen nicht mehr glatt, sondern lockig. Sie sagt: »Früher dachte ich, es wäre ein Makel, Schwarz zu sein und meine Haare natural zu tragen, also ohne chemisches Glättemittel. Heute bin ich stolz darauf.«

Die deutsche Kosmetikindustrie machte im vergangenen Jahr laut dem Industrieverband Körperpflege- und Waschmittel rund 14 Milliarden Euro Umsatz. Wie groß der Anteil von Shampoo, Cremes und Make-up für Schwarze Haut und Haare ist, wird nicht erhoben. Aber Marken wie Fenty Beauty von Megastar Rihanna mit Make-up-Foundations in mehr als fünfzig Hauttönen sind in deutschen Drogerieregalen, anders als in amerikanischen, noch eine Ausnahme.

Doch immer mehr junge Schwarze Menschen wollen sich damit nicht zufriedengeben und einen Markt verändern, der sie eigentlich nicht berücksichtigt.

Da ist zum Beispiel Adelaide Wolters, 25, die mit 15 in ihrem Kinderzimmer ihre erste Hautcreme zusammenmischte. Oder Nana Addison, 31, die die größte deutsch-sprachige Beauty-Messe für BIPoC gründete. Und da ist Asita Morgan, 38, die beim Kosmetikunternehmen Cosnova Beauty arbeitet, dessen Marke Catrice seit 2018 auch Produkte für dunkle Hauttöne im Sortiment führt.

Gegen den Willen ihrer Mutter entschied Adelaide mit 17, ihre Haare nicht mehr zu glätten. Zwei Jahre zuvor hatte sie außerdem angefangen, selbst etwas gegen die Pickel und Hyperpigmentierungen in ihrem Gesicht zu unternehmen, weil nicht einmal ihr Hautarzt helfen konnte, wie Adelaide sagt. Im Internet las sie, dass die menschliche Haut aus verschiedenen Schichten besteht, aber meist nur die Hornschicht, die oberste Schicht der Epidermis, von kosmetischen Inhaltsstoffen profitiert. Sie verstand, dass die mineralischen UV-Filter mancher Cremes ihre Schwarze Haut grau färbten, Sheabutter und chemische UV-Filter aber nicht.

Mit diesem Wissen entwickelte Adelaide die Rezeptur für ihre erste Creme She(a) Raw, die nicht nur ihrer Haut, sondern auch der ihrer Freundinnen gegen Unreinheiten half. Bis sie diese für 25,99 Euro pro Tiegel verkaufen würde, sollte es aber noch ein paar Jahre dauern. Erst mal begann sie nach dem Abitur eine Ausbildung zur Hotelfachfrau, und danach studierte sie BWL und Wirtschaftspsychologie an der FOM Hochschule in Hamburg. »Ich entschied mich für die Sicherheit. Auch weil meiner Familie das wichtig war«, sagt Adelaide.

Mit 21 traute sie sich dann: Neben ihrem Vollzeitjob und dem Studium meldete Adelaide als Erste in ihrer ghanaisch-deutschen Familie ein Gewerbe an, Unrefined Riches. »Es hat sich gut angefühlt, aber ich wusste gar nicht, wo ich anfangen soll«, sagt sie. Auf YouTube hatte sie bei Gründerinnen wie Mariee Revere gesehen, wie sie ihre Cremes zu Hause anrührten. In Deutschland ist das verboten. Hier dürfen laut der Kosmetik-Verordnung nur zertifizierte Betriebe Hautcremes mischen und abfüllen. Adelaide hätte das wegen der vielen Sicherheitstests für die ersten Tiegel 9000 Euro gekostet, sagt sie.

Geld, das sie nicht hatte. Und an das sie auch nicht so schnell kam. Keine der siebzig Banken, bei denen sie nachfragte, wollte ihr einen Kredit geben, sagt sie. Also begann sie neben dem Studium nicht nur Vollzeit am Empfang einer Kanzlei zu arbeiten, sie ging auch an den Wochenenden putzen. So sparte sie 3000 Euro. Ein Jahr hielt sie durch, dann hörte sie mit dem Putzen auf, verließ die Kanzlei und wurde Buchhalterin. Im Büro wurde sie ohnmächtig, die Ärzte attestierten ihr unter anderem eine Belastungsdepression, Burn-out. Als ihr Chef sagte: »Wenn Sie das mit Ihrer Kosmetik lassen, können Sie wiederkommen«, kündigte Adelaide und machte sich selbstständig. »Das war die beste Entscheidung ever«, sagt Adelaide heute. Ihr Umsatz sei im vergangenen Jahr um das Zehnfache gewachsen.

Im Februar 2019 war daran noch nicht zu denken. Adelaides Kundinnen waren vor allem ihre Freundinnen, und auf Instagram hatte sie gerade einmal ein paar Hundert Follower. Erst als sie anfing, in Storys über die richtige Hautpflege zu sprechen, änderte sich das. Nach einem Jahr folgten ihr schon ein paar Tausend, darunter nicht nur Schwarze Menschen. Adelaide sagt: »Ich will zeigen, dass man Produkte für alle Menschen herstellen kann. Und ihnen die Möglichkeit geben, ihre Haut und ihre Haare optimal zu pflegen, unabhängig von ihrem ethnischen Background.«

Adelaide möchte nicht nur eine Nische besetzen. Sie ist stolz darauf, dass sie mittlerweile von ihrem Black-Owned Business leben kann. Bald will sie ihre erste Mitarbeiterin in Vollzeit einstellen. »Vielen meiner Kundinnen ist es wichtig, dass Gewinne bei einer Frau, noch dazu einer Schwarzen, ankommen. Und nicht etwa bei einem weißen Manager eines internationalen Konzerns, der sich nicht für ihre Bedürfnisse interessiert.« Und: »Für mich bedeutet meine Selbstständigkeit auch, gegen Rassismus zu kämpfen und mich und andere marginalisierte Menschen zu empowern.«

Das gelingt ihr auch deshalb, weil sich die Schwarze Community immer mehr vernetzt. 2019 bekam Adelaide eine Einladung von der Curl Con, der ersten Beauty-Mes- se für BIPoC in Deutschland, mit rund 1000 Besuchern und rund dreißig Ausstellern. Im Vergleich zu Messen wie der Beauty International mit mehr als 50.000 Besuchern mag das nicht groß klingen. Für Adelaide war es trotzdem ein wichtiger Schritt.

Die Frau, die die Curl Con gründete, ist Nana Addison, 31. Sie lebt in Essen-Steele. Auch Nana ist die erste Unternehmerin in ihrer ghanaisch-deutschen Familie. Auch sie fing wie Adelaide als Teenager an, sich mit ihrer Identität als Schwarze Frau auseinanderzusetzen. Das war in den Nullerjahren, als sie Destiny’s Child entdeckte. »Die Musikerinnen zeigten mir, dass nicht nur weiße Frauen begehrenswert sind, auch wenn deutsche Werbung, Popkultur und manche Medien das vermitteln«, sagt Nana in einem Videocall.

Doch sich wie Beyoncé, Kelly und Michelle zu schminken war für Nana damals unmöglich. In der Drogerie gab es, wenn überhaupt, eine Foundation in Hellbraun. Nanas Freundinnen, die einen weißen und einen Schwarzen Elternteil hatten, konnten diese benutzen, sie aber nicht: »Ich war neidisch und habe mich unbedeutend gefühlt. Es gab zwar noch die Afroshops, doch da gab es nur so Altdamen-Marken, die meine Mutter benutzte. Mich sprach das nicht an.«

Nach dem Abi studierte Nana BWL und Evangelische Theologie an der Humboldt-Universität in Berlin und arbeitete nebenbei als Model, PR- und Eventmanagerin. »Ich wollte das Bild von ›schön‹ im deutschen Mainstream verändern. Ich wollte mitentscheiden können, welche Models gebucht werden, mit welchen Unternehmen zusammengearbeitet wird«, sagt Nana.

2017 brach sie ihr Studium ab und arbeitete mal in England, mal in Ghana oder den USA. »Da lernte ich, wie wichtig das Natural Hair Movement für den Selbstwert Schwarzer Menschen und besonders für Schwarze Frauen ist«, sagt Nana. Das Natural Hair Movement erwuchs aus der Black-is-Beautiful-Bewegung der Sechzigerjahre, die sich gegen die rassistische Vorstellung wehrte, Schwarze Haut und Haare seien hässlich. In den vergangenen Jahren machten es in Deutschland vor allem Schwarze YouTuberinnen wie Naptural85 bekannt. Und Studien belegten, dass manche Relaxer, wie Adelaide sie als Fünfjährige in die Haare geschmiert bekam, Krebs verursachen können. »Dass viele Schwarze Frauen diese gesundheitlichen Risiken bis heute auf sich nehmen, zeigt, wie weit sie gehen, um in einer rassistischen Gesellschaft akzeptiert zu werden«, sagt Nana.

Ihre Haare ließ Nana das erste Mal mit 22 als Afro wachsen. Ihre ältere Schwester zögerte, denn damit die Haare nach dem chemischen Glätten wieder gesund nachwachsen können, müssen sie meist abrasiert werden. Als die beiden einen Haarworkshop in Frankfurt am Main besuchten, änderte Nanas Schwester ihre Meinung. Die Workshopleiterin, eine Stylistin, erklärte, wie wichtig die Liebe zu ihren natürlichen Haaren für die Identität Schwarzer Menschen sei. Und dass sie für Emanzipation in einer Welt stünden, in der sie seit Jahrhunderten unterdrückt werden. Nana sagt: »Da verstand ich: Beim Natural Hair Movement geht es nicht nur um Haarpflege. Es geht darum, zu verstehen, dass du, auch wenn es dir als Schwarze Minderheit in einer Weißen Mehrheitsgesellschaft anders vermittelt wird, nicht weniger schön oder weniger wert bist.«

Am Ende des Workshops rasierte sich Nanas Schwester den Kopf. Und Nana sagte zu ihr: »Ich will so was auch produzieren, aber in Groß. Für alle Schwarzen Menschen in Deutschland.«

Fünf Jahre später, 2019, gründete Nana die Kommunikationsagentur Curl Agency und veranstaltete die erste Curl Con, auf der sie Beauty-Unternehmerinnen wie Adelaide mit Händlern und BIPoC-Kundinnen vernetzte. »Als ich ein Jahr vorher Hunderte Kosmetikunternehmen anschrieb, um sie als Partner und Sponsoren zu gewinnen, antworteten die meisten: ›Das ist ja schön, aber wir engagieren uns schon sozial.‹ Geld wollten sie nicht geben.« Sie gingen davon aus, dass der Markt für BIPoC-Kosmetik in Deutschland zu klein sei. »Dabei wissen wir aus etlichen Berichten aus den USA und UK etwa, dass Schwarze Frauen drei-bis neunmal mehr für Kosmetikprodukte ausgeben als weiße Frauen.«

Nana glaubte deshalb an ihre Idee, überarbeitete ihr Konzept, baute den Bereich Lifestyle weiter aus und überzeugte so unter anderem Coca-Cola, als Sponsor der ersten Messe dabei zu sein. »Unternehmen sind gewillter, für Black Lifestyle Geld auszugeben, weil sie das schon mehr verstanden haben. Die Schwarze Frau ist der Style-Blue-print. Was Rihanna, Beyoncé und Nicki Minaj tragen, wie sie sich schminken, wird schnell zum Trend«, sagt sie.

Doch Nana kämpft nicht nur um Investoren. Sie will die Kosmetikbranche nachhaltig verändern. »Viele Unternehmen müssten ihre Produkte für die BIPoC-Kundinnen nicht mal neu entwickeln«, sagt sie. Die meisten hätten schon eine breite Make-up-Range von Hauttönen im Sortiment, weil sie ihre Produkte auf der ganzen Welt verkaufen. »Sie müssten sie in vielen Fällen bloß auch in Deutschland ins Sortiment aufnehmen«, sagt sie.

Eine, die für so ein großes Kosmetikunternehmen arbeitet, ist Asita Morgan, 38. Anders als Nana und Adelaide möchte sie die Kosmetikindustrie von innen verändern. Ihr Arbeitgeber ist Cosnova Beauty, mit Hauptsitz in Sulzbach bei Frankfurt am Main. Das Unternehmen gehörte 2020 mit einem Jahresumsatz von rund 403 Millionen Euro und 40 Prozent Marktanteil zu den Marktführern im Bereich dekorative Kosmetik in Deutschland. Cosnovas Marken Essence und Catrice gibt es in fast jedem deutschen Drogerieregal.

Asita ist die Tochter eines Schwarzen New Yorkers und einer weißen Deutschen aus Rheinland-Pfalz. Anders als Nana und Adelaide konnte sie sich in den Neunzigerjahren dank des Jobs ihres Vaters, der auf einer US-Air- Base arbeitete, Make-up und Haarpflege kaufen. »Das war natürlich ein Privileg. Und ich bin auch noch light­ skin, habe also eher hellere Haut«, sagt sie.

Mit den Begriffen lightskin und darkskin werden in der Schwarzen Community unterschiedliche Privilegien benannt, die ihnen zugeschrieben werden. Dieser »Colorism« basiert auf rassistischen Strukturen und Denkmustern, die Menschen mit dunklerer Haut stärker diskriminieren. Auch in der Welt der Kosmetik zeigt sich Colorism. Dann, wenn Asita leichter Make-up findet als Adelaide und Nana, die sich als darkskin beschreiben.

Als Asita 2012 bei Cosnova in der Presseabteilung anfing, gab es dort noch keine Foundation, die sie benutzen konnte. »Ich hätte das sicher ansprechen können, aber irgendwie bin ich überhaupt nicht auf die Idee gekommen«, sagt sie heute. Für Cosnova wollte sie arbeiten, weil ihr dessen Produkte vertraut waren.

Noch im selben Jahr shootete Cosnova für seine Limited Edition Cucuba mit einem Schwarzen Model. Asita sagt: »Ich bin froh, dass ich bei einem Unternehmen arbeite, das sich nicht erst seit der Ermordung George Floyds im Mai 2020 Diversität auf die Fahne schreibt.«

Asita leitet heute ein Team von drei Mitarbeitern im Innovation Lab. Vor drei Jahren haben sie dort für La Manufacture, das zu einem Schwesterunternehmen von Cosnova gehört, »Your Personal Foundation Kit« entwickelt. Es kostet 60 Euro und darin ist auch eine kleine Kamera, die den Hautton scannt und danach eine passende Rezeptur anzeigt. Aus fünf Basisfarben kann man sich die richtige Farbe dann selbst mischen. Und auch die Marke Catrice hat in Deutschland seit 2018 dunkle Hauttöne im Sortiment. Wie viel Umsatz sie heute mit dem dunkelsten Shade »espresso beige« macht, sagt das Unternehmen nicht. Asita verrät nur: »Der dunkelste Hautton ist in Deutschland sicher kein Bestseller.«

Gründerin Nana erklärt das so: »Beauty-Unternehmen haben BIPoC in Deutschland jahrelang als Kundinnen ausgeschlossen. Deswegen können sie jetzt nicht erwarten, dass diese Frauen ihnen wegen einer erweiterten Make-up-Range die Bude einrennen. Wenn sie das wollen, müssen sie BIPoC aktiv ansprechen, anstatt sie für den Diversity-Trend auszuschlachten.« Das mache für Nana den Unterschied zwischen Rihannas Fenty Beauty und vielen anderen Beauty-Marken aus. Was Nana kritisiert, sieht Asita ähnlich, findet jedoch: »Es ist noch ein langer Weg. Doch wer in der Drogerie nicht die passende Shade findet, kann sie immerhin online bestellen. Das ist nicht ideal, aber ein Schritt.«

Asita, Nana und Adelaide eint, dass sie Schwarze Kundinnen in Deutschland sichtbar und ihnen ein Angebot machen wollen. Ihre Arbeit ist für sie ein Akt Schwarzer Emanzipation. Sie wollen Vorbilder sein und zeigen, dass nicht nur Megastars wie Rihanna, sondern auch Schwarze BWL-Studentinnen aus Hamburg und Essen Unternehmerinnen werden können.

Nana startet noch dieses Jahr die Curl Academy, ein digitales Bildungsprogramm für BIPoC-Unternehmer aus der Kreativbranche. Und Adelaide verkauft in ihrem Online-Shop mittlerweile auch eine Bürste für Menschen mit Afro, damit dieser nach ihnen selbst aussieht: Stolz und schön.