»Für die Taliban sind wir Verräter« / ZEIT ONLINE / August 2021
Drei Jahre haben Marwa und Ramin für die Bundeswehr in Afghanistan gearbeitet. Jetzt fürchten sie um ihr Leben. Doch ihr früherer Arbeitgeber will davon nichts wissen.
Erst waren Marwa und Ramin Verbündete von Deutschland, jetzt kämpfen sie verzweifelt dafür, nicht vergessen zu werden. Es ist Samstag, der 14. August 2021 in Kabul. Ramin Nasiry flüchtete vor vier Tagen in die Hauptstadt von Afghanistan. Damit ihm jemand ein Flugticket organisierte, bezahlte er 150 US-Dollar. Über WhatsApp schickt er ein Foto, darauf zu sehen: sechs Männer in einem Hostelzimmer, fünf von ihnen am Handy. Ramin schreibt: „Everyone is talking to their family members in Mazar„. Jeder spricht mit seinen Verwandten in Masar-i-Scharif. Die Männer auf dem Foto sind Ramins ehemalige Kollegen, die für die Bundeswehr gearbeitet haben. Sie alle haben Angst, dass die Taliban sie finden, foltern, töten.
Am Sonntag, den 15. August, eroberten die Taliban Kabul, der Präsident Ashraf Ghani flüchtete ins Ausland und die afghanische Regierung verkündete, dass sie ihnen die Hauptstadt „friedlich übergeben“ will. Einen Tag zuvor eroberten die Taliban Masar-i-Scharif, Ramins Heimatstadt.
Masar-i-Scharif ist eine Stadt im Norden Afghanistan, in der mit zuletzt 1.000 stationierten Soldaten einmal das größte Feldlager der Bundeswehr stand, Camp Marmal. Sie waren dort seit 2003 für die Nato-Mission Isaf stationiert und arbeiteten bis zuletzt für die Nachfolgemission Resolute Support, deren Aufgabe es seit 2015 war, afghanische Soldaten auszubilden. Dabei ließen sie sich von afghanischen Arbeitern unterstützen, sogenannten Ortskräften. Unter ihnen waren Taxifahrer, Köche, Übersetzerinnen.
Und es gab Menschen wie Ramin Nasiry, 27, und Marwa Sohraby, 29, die ebenso wie Ramin nach Kabul flüchtete. Beide waren drei Jahre Kollegen im Bawar Media Center, kurz BMC, das mit seinen an die 70 Mitarbeitern fast 20 Jahre so etwas wie das Sprachrohr der deutschen Bundeswehr war. Die Arbeiter dort galten als „die Stimme des Nordens“. Sie recherchierten für die Bundeswehr, welche Anschläge die Taliban planten, schrieben Flugblätter auf denen Sätze wie „Taliban-Kämpfer sind Terroristen, geben Sie ihnen keinen Unterschlupf“ standen oder posteten auf ihren Social-Media-Accounts, wie schlecht es den Menschen, vor allen den Frauen, ging.
Sie machten prodemokratische Propaganda im Sinne der Bundeswehr. Bis Deutschland die letzten Soldaten Ende Juni abzog, den Mitarbeitern im BMC, zu denen auch Ramin und Marwa zählen, aber weder Hilfe noch Asyl anboten, als die Taliban das Land eroberten. Und auch als das Verteidigungsministerium am 15. August erklärte, seine Botschafter zu evakuieren, meldete sich niemand bei ihnen. Das Argument: Es hätte kein „direktes Arbeitsverhältnis“ mit dem BMC gegeben. Das teilte der Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums am 9. August in der Bundespressekonferenz mit.
Recherchen von ZEIT Campus zeigen, dass an dieser Darstellung erhebliche Zweifel bestehen. Interne Bundeswehrdokumente, die Berichte von drei Ex-Soldaten sowie Marwas und Ramins Erzählungen zeichnen ein anderes Bild. Es ist eines, in denen die Bundeswehr ihre ehemaligen Mitarbeiter, die ihnen jahrelang geholfen haben, dem Tod überlässt.
Die nachfolgenden Protokolle von Ramin und Marwa sind das Ergebnis aus mehreren Gesprächen, mal mit beiden gleichzeitig geführt, mal mit jedem einzeln, sowie WhatsApp-Nachrichten der vergangenen zwei Monate.
Marwa: „Meiner Tochter und meinem Sohn, drei und sechs Jahre alt, habe ich gesagt, wir fahren in den Urlaub. Sie sollten keine Angst bekommen. Nicht so wie ich. Ich habe solche Angst. Eigentlich wollten wir schon vor zwei Wochen in die Hauptstadt Kabul fliehen, weil dort noch US-amerikanische Truppen stationiert sind. Aber die Flüge sind so teuer, 150 US-Dollar pro Person. Am Ende haben wir Möbel verkauft, damit es ging. Ich bin eine Frau, die mit ausländischen Truppen zusammengearbeitet hat. Eine größere Sünde kann man für die Taliban nicht begehen. Im März erschossen sie drei Fernsehjournalistinnen auf offener Straße. Vor zwei Wochen folterten sie in Herat drei Journalistinnen von Salam Watandar, einem bekannten afghanischen Radiosender, weil sie einen Videobericht über die Lage in ihrer Provinz machen wollten.“
Ramin: „Ich bin schon vor ein paar Tagen in Kabul angekommen. Es schmerzt mich, meine Schwester und meine Mutter allein gelassen zu haben. Vor ein paar Wochen habe ich meine Schwester beobachtet, wie sie dunkelblauen Stoff herausgelegte. Ich fragte sie, warum sie das mache. Sie sagte, um meiner Mutter und sich selbst eine Burka zu nähen. Als ich ging, waren beide in Tränen aufgelöst. Meine Mutter fragte: Ist das jetzt der endgültige Abschied oder sehen wir dich je wieder?“
Die Bundeswehr gründete das Bayan-e-Shamal-Mediencenter 2003 mit dem Ziel, in der afghanischen Bevölkerung ein besseres Verständnis für den Kampfeinsatz der internationalen Truppen zu schaffen und ihnen bei der Bewertung der Sicherheitslage zu helfen. Marwa kam 2016, Ramin 2018 dazu. Für beide war es ein guter Job, sie verdienten im Monat 750 US-Dollar, viel Geld in einem Land, in dem das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf bei 590 US-Dollar liegt. Allerdings unterschrieben sie andere Verträge als ihre Vorgänger.
Bis 2016 waren die Mitarbeiter des Bayan-e-Shamal-Center direkt bei der Bundeswehr angestellt: bei Foda, der Verwaltung von Camp Marmal, dem Feldlager der Bundeswehr. Dann aber, Marwa und Ramin können sich nicht erklären, warum, unterschrieben neue Mitarbeiter plötzlich einen anderen Vertrag. In dem neuen Vertrag treten auf einmal nicht mehr die Deutschen als Arbeitgeber auf, sondern das Center selbst, mittlerweile in BMC umbenannt. Der alte und der neue Vertrag liegen ZEIT Campus vor. Dass die Bundeswehr sie offiziell doch beauftragte, liegt jedoch nahe, wenn man sich die Verträge genau anschaut. Beide wurden auf Deutsch geschlossen. Ramin und Marwas Verträge zeigen außerdem die Unterschrift von Mitarbeitenden der Bundeswehr, in beiden Verträgen steht: „Alle Personalentscheidungen des Bayan-e Shamal Media Center dürfen nur mit Genehmigung des RMIC AT getroffen werden“. Das Regional Media Information Center, RMIC, ist die Medienabteilung der Bundeswehr im Camp Marmal, AT steht für „Advisory Team“.
Marwa: „Seit ich acht Jahre alt war, wusste ich, dass ich später einmal arbeiten möchte. Zehn Jahre später habe ich in Karatschi, Pakistan, und Dar Al Fikr, Saudi-Arabien, Geologie und Islamisches Recht studiert. Auch wenn fast alle in meiner Familie gesagt haben, das gehöre sich nicht als Frau, und manche Verwandte deswegen sogar den Kontakt zu mir abgebrochen haben. Mein Ehemann, ein Obsthändler, war da anders. Er hat mich unterstützt. Als ich ihm 2016 sagte, ich möchte gerne im BMC als Medienanalystin anfangen und für die deutsche Bundeswehr arbeiten, sagte er: ‚Mach‘. Wir wollten etwas dafür tun, dass unsere Kinder in einem Land aufwachsen, dass Menschen- und Frauenrechte achtet. Damals hofften wir, dass sich Afghanistan von Tag zu Tag dem Frieden nähern würde, und wir waren optimistisch, was die Zukunft anging. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass die Taliban in ein paar Tagen fast das ganze Land zurückerobern würden. Hätte ich das alles gewusst, hätte ich niemals für die Deutschen gearbeitet. Was die Terroristen mit mir machen werden, will ich mir gar nicht vorstellen.“
Ramin: „Ich habe in Masar-i-Scharif an der Taj University Business Administration und in Pakistan Englisch studiert. Nach meinem Abschluss verdiente ich mein Geld sechs Jahre damit, Filme wie Interstellar oder Serien wie Breaking Bad auf Farsi zu übersetzen. Im BMC fing ich 2018 offiziell als Übersetzer an. Ich fuhr mit den Soldaten in die Provinzen, recherchierte aber auch den Social-Media-Aktivitäten der Taliban hinterher oder schrieb Texte, die die afghanische Armee lobten. Mit meiner Arbeit wollte ich helfen, unser Land weiterzuentwickeln. Ich wollte Demokratie für Afghanistan. Dafür habe ich gern mit der Bundeswehr zusammengearbeitet. Nun aber wollen sie nichts mehr mit uns zu tun haben. Sie haben uns ausgenutzt.“
Die Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer verkündete im April, dass auch afghanische Ortskräfte, die der Bundeswehr bei der Erfüllung ihres Auftrages geholfen haben, wegen der aktuellen Bedrohungslage nach Deutschland einreisen dürfen. Sie sagte: „Wir reden hier von Menschen, die zum Teil über Jahre hinweg auch unter Gefährdung ihrer eigenen Sicherheit an unserer Seite gearbeitet, auch mitgekämpft haben und ihren persönlichen Beitrag geleistet haben. Ich empfinde es als eine tiefe Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland, diese Menschen jetzt, wo wir das Land endgültig verlassen, nicht schutzlos zurückzulassen.“ Bislang reisten 333 Ortskräfte und 1.043 Angehörige nach Deutschland ein.
Marwa: „Als die Nato und damit auch Deutschland im April den Abzug aus Afghanistan erklärten, machte das meine Kollegen und mich unruhig. Für die Taliban gelten wir als Verräter, die den Islam hintergehen und den Weg für die westliche Besetzung Afghanistans ermöglicht haben. Ich erzähle meinen engsten Familienmitgliedern deshalb nicht, was ich genau gearbeitet habe. Ich sage ihnen nur, dass ich im BMC ein paar Dinge organisiert habe. Damit sie mich nicht verraten, wenn die Taliban sie finden. Wenn dir jemand eine Knarre an den Kopf hält, sagst du, was du weißt. Auch wenn es um deine Schwester, deine Tochter geht. Ich verstecke mich gerade in einem Haus meines Verwandten in Kabul, meine Familie sitzt im Keller unseres Hauses in Masar-i-Scharif fest.“
Ramin: „Ende Mai fuhren 28 BMC-Mitarbeiter, darunter Marwa und ich, ins Camp Marmal, um uns für die Ausreise nach Deutschland zu bewerben. Wir dachten: Wenn sich afghanische Köche, Autowäscher und Taxifahrer dafür qualifizieren konnten, dann doch auch wir. Unsere Gesichter kennen in der Provinz Balch viele. Es gibt viele Videos, in denen wir mit Gesicht zu sehen sind. Artikel, die wir mit unseren Klarnamen geschrieben haben. Dass wir Schutz brauchen, müsste eigentlich jedem klar sein.“
Marwa: „Die Bundeswehr schien das leider anders zu sehen. Schon im April hatte uns eine ihrer Mitarbeiterinnen bei einem Treffen erklärt, dass wir für eine Ausreise nicht infrage kämen, da wir keinen direkten Arbeitsvertrag mit ihnen hätten. Das konnten wir nicht glauben. Wir hatten doch Seite an Seite mit den Soldaten gearbeitet. Wir wollten es also trotzdem noch einmal probieren. Aber als wir am nächsten Tag ins Büro wollten, ließ uns unser Chef Shirshah Amiry nicht rein. Er öffnete die Tür nicht, mehrere Stunden lang standen wir in der Sonne.“
Ramin: „Shirshah meinte zu uns, wir hätten dort nur gearbeitet, weil wir insgeheim nur nach Deutschland wollten. Als er uns nicht in unsere Büros ließ, begriffen wir: Wir haben ein Problem, wenn wir nicht handeln.“
Ramin, Marwa und 24 Kollegen gründeten eine Facebook-Seite mit dem Namen „The Forgotten 26“ und mieteten einen Raum, in dem sie sich jeden Tag trafen, um E-Mails an Bundestagsabgeordnete, Regierungsvertreter und Bundeswehrgeneräle zu schreiben. Fast immer im Betreff: „German local (Afghan) employees seeking support for asylum„.
Einer der wenigen, der ihnen antwortete, war Marcus Grotian, Hauptmann der Bundeswehr und Vorsitzender des Patenschaftsnetzwerk Afghanische Ortskräfte e.V., der die Interessen von afghanischen Ortskräften vertritt. Er hielt die ganze Zeit mit Ramin, Marwa und den anderen Kontakt, und berichtete ihnen auch, was der Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums in der Bundespressekonferenz am 9. August sagte. Am Telefon verweist er auf die USA. Dort sei die Ortskraft, die für die New York Times gearbeitet habe, ebenso antragsberechtigt auszureisen wie die, die direkt bei der US Army angestellt war. Er sagt: „Es wäre also das Mindeste, dass auch die Deutschen prüfen, ob Subunternehmer wegen ihrer Arbeit für die Bundeswehr gefährdet sind.“ Ramin, Marwa und die anderen BMC-Mitarbeiter zählen für ihn dazu. Und dann verweist er noch auf einen Fall im Jahr 2014: Nachdem die Taliban die Journalistin Anja Niedringhaus erschossen hatten, hätte die Bundeswehr schon einmal BMC-Mitarbeiter nach Deutschland ausgeflogen. Warum also machen sie es jetzt nicht?
Ramin: „Sie lassen uns allein in einem Land, das dem Untergang geweiht ist. Die Taliban sagen zwar, sie hätten sich verändert, und sie würden Gnade walten lassen, aber das sind alles Lügen. In einem von der Kulturkommission der Taliban herausgegebenen Schreiben wurde die Bevölkerung der Provinzen Tachar und Badachschan aufgefordert, eine Liste mit Mädchen unter 15 Jahren und geschiedenen Frauen über 45 Jahren zu erstellen, damit Taliban-Kämpfer sie heiraten können.“
Marwa: „Für die Taliban sind Frauen Menschen zweiter Klasse, deren Leben einem Gefängnis gleicht. Wir dürfen nicht mal auf den Markt allein gehen, um Obst und Gemüse zu kaufen. Für sie sind wir Sklaven. Wenn sie erfahren, dass ich mit Ausländern zusammengearbeitet habe, töten sie mich. Vielleicht auch meine Familie. Ich meine, das interessiert die Taliban doch nicht, was für einen Vertrag ich hatte? Die sagen doch nicht, ach, du hast kürzer mit den Ausländern zusammengearbeitet als die anderen hier, wir lassen dich in Ruhe.“
Am 30. Juni wurde das Bawar Media Center geschlossen. Am 6. August erschossen die Taliban den Leiter des Medien- und Informationstreffens der afghanischen Regierung. An diesem Tag bekamen Ramin und Marwa auch eine E-Mail von der Bundeswehr. Darin heißt es auf Englisch:
„Sehr geehrte Damen und Herren, vielen Dank für Ihre Nachricht. Eine Zulassung im Rahmen des Sonderzulassungsprogramms für ehemalige Angehörige der Bundeswehr in Afghanistan ist nur möglich, wenn sie in einem unmittelbaren Beschäftigungsverhältnis zur Bundeswehr gestanden haben.“
Drei Tage später wiederholte Arne Collatz, der Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums in der Bundespressekonferenz diese Sätze: Bis Ende 2016 seien die Mitarbeitenden des BMC angestellte Ortskräfte der Deutschen gewesen. Aber: „Danach eben nicht mehr, sondern es waren mittelbar Beschäftigte, wir hatten kein direktes Arbeitsverhältnis.“
Interne Dokumente, die ZEIT Campus vorliegen, lassen Zweifel an dieser Darstellung aufkommen. In einem 50-seitigen Bericht aus dem Jahr 2020 des Medienprojekts der Bundeswehr steht detailliert, wie beim BMC neue Mitarbeiter eingestellt, Krankheitstage erfasst oder Briefings organisiert werden. Und auch die Finanzen des BMC sind in dem Dokument aufgelistet: Dessen Anschlussfinanzierung sei sichergestellt, heißt es. „Das Ministerium hat haushälterisch entschieden, dass das BMC so lange finanziert wird, wie die Speiche Nord betrieben wird“. Speiche Nord, damit sind die Aktivitäten der Bundeswehr in Masar-i-Scharif gemeint. Offenbar wurde das afghanische Medienprojekt trotz neuer Verträge weiterhin vom deutschen Verteidigungsministerium finanziert.
Und auch das Arbeitsverhältnis zur Bundeswehr scheint im BMC gleich geblieben zu sein. Die deutschen Soldaten seien weiterhin vorbeigekommen, hätten weiter Texte abgenommen und weiter Aufträge erteilt, die Taliban-Aktivitäten zu observieren, berichten Marwa und Ramin. Drei Soldaten, die in dem Projekt involviert waren und mit denen ZEIT Campus sprechen konnte, bestätigen ihre Darstellung. Da sie sich nicht offiziell äußern dürfen, müssen sie anonym bleiben.
Einer von ihnen sagt: „Das BMC war das Mittel der Wahl, wenn es zum Beispiel um das Medienmonitoring ging. Bei Bedrohungslagen für Bundeswehrsoldaten haben die afghanischen Angestellten für uns weiterhin herausgefunden, was vor Ort los ist. Als ein unabhängiges Medienzentrum kann man das BMC wirklich nicht bezeichnen. Der Auftrag blieb der gleiche und wir haben weiterhin davon profitiert.“
Ein Zweiter: „Das BMC war bis zuletzt ein Sensor für uns. Das heißt, dass sie die Analysten der Bundeswehr mit einem täglichen Medienreport versorgt haben. Der nutzte uns, die Lage in Masar-i-Scharif besser einschätzen zu können. Damit war er ein Sicherheitsfaktor für die Nato. Der Keller des BMC hat außerdem für offizielle Treffen gedient, für NGO-Mitarbeiter, Bundeswehrsoldaten, das Auswärtige Amt.“
Das alles zeigt: Die Mitarbeiter des BMC waren weiterhin Teil der deutschen Mission im Norden Afghanistans, trotz teils neuer Verträge. Das Bundesverteidigungsministerium ließ, mit diesen Recherchen konfrontiert, die Frist von zweieinhalb Tagen verstreichen und bezog zu keiner der Vorwürfe Stellung.
Marwa: „Einer meiner Schwager sagte zu mir: ‚Das hast du jetzt davon, dich mit Ausländern eingelassen zu haben.‘ Ich wünschte, er hätte Unrecht. Doch auch ich habe die Hoffnung verloren. Ich habe heute, einen Tag nach der Machtübernahme, mit meiner Mutter gesprochen, die noch in Masar-i-Scharif festsitzt. Sie hat um uns geweint und gesagt, dass sie nicht nach draußen gehen können und überall die Taliban sind. Ich wünschte, ich hätte nirgendwo gearbeitet und wäre einfach zu Hause geblieben, dann wäre ich jetzt nicht in einer solchen Situation.“
Ramin: „Erst war ich wütend, jetzt bin ich nur noch enttäuscht. Ich weiß, dass die Taliban die Blaue Moschee zerstören werden, so wie es mit den Buddha-Statuen vor 20 Jahren in Bamiyan gemacht haben. Masar-i-Scharif wird man bald nicht mehr wiedererkennen. Und ich? Ich hoffe, ich überlebe das, was auf mich zukommt. Als ich mich von meiner Mutter verabschiedete, versuchte ich stark zu sein und sagte mit einem Lächeln im Gesicht: Ich werde zurückkommen, Mama. Es ist nur eine Frage von ein paar Tagen. Aber tief in meinem Inneren wusste ich, dass ich keine Ahnung hatte, was nun auf mich zukommen würde. Einer meiner Mitbewohner und ehemaligen Kollegen erhielt heute Morgen einen Anruf von seiner Frau in Masar-i-Scharif. Sie sagte ihm, dass die Taliban gekommen sei, um ihn zu suchen. Sie kannten seinen Namen und seinen Beruf. Als seine Frau sagte, er sei nach Kabul gefahren, wollten die Taliban sein Haus durchsuchen, aber die Ältesten in der Gegend schritten ein und ließen sie nicht in sein Haus. Ich frage dich: Wenn Marwa oder mir etwas passiert, wer trägt dafür die Verantwortung?“