Die Botschafterin / UniSPIEGEL / Juli 2019
Früher musste die deutsche Weinkönigin Dirndl tragen und vor allem nett lächeln. Heute nennt sie sich »German Wine Ambassador« und reist durch die Welt – reicht das, um das Amt in die heutige Zeit zu holen?
Nicht mal der kräftige mitteldeutsche Wind kann der Königin eines ihrer blonden Haare krümmen. Das Haarspray hält die Mähne zusammen. »Schön, dass wir uns endlich kennenlernen!«, ruft die Königin und spannt ihre Arme zur Umarmung auf. Hinter ihr parkt ein weißer Mercedes mit eigener Signatur: »70. Deutsche Weinkönigin« steht auf der Stoßstange.
Carolin Klöckner, 23 Jahre alt, Besitzerin des Autos und Trägerin des wichtigsten deutschen Produkt-Adelstitels, ist gerade erst aus München gekommen, Weinverkostung in einem Hotel, es ging bis Mitternacht. Um sechs war sie schon wieder unterwegs. Nun ist es halb zwölf. Klöckner wartet auf ein Taxi, das sie zum Weingut Steinmeister in Naumburg an der Saale bringen soll. Wer Wein trinken möchte, lässt natürlich das Auto stehen. Die beiden Winzer, ein Professorenpaar, haben den Besuch der Weinkönigin bei einem Preisausschreiben gewonnen. So wurde aus der ursprünglichen »Weinwanderung« durch das nördlichste der deutschen Weinanbaugebiete, Saale-Unstrut, eine »Royale Weinwanderung«. Manche nennen die Region im Süden Sachsen-Anhalts wegen ihrer felsigen Steillagen und geschwungenen Hügel auch die »Toskana des Nordens«.
Seit September ist Königin Carolin im Amt, gewählt nach einer Blindverkostung, einem Ratespiel und einer Rede, die sie mit den Worten »Schön ist es, auf der Welt zu sein« schloss. Klöckner trug Cocktailkleid, der SWR übertrug live.Mit Julia Klöckner, der wohl berühmtesten deutschen Weinkönigin und heutigen Bundeslandwirtschaftsministerin, ist Carolin Klöckner nicht verwandt. Klöckner, die Ältere, sagte bei der Krönung von Klöckner, der Jüngeren: »Häufig werden die Weinköniginnen so ein bisschen märchenhaft empfangen. Als sei man Königin und nur Krone und viel Weiteres nicht dahinter.« Klöckner, die Jüngere, widersprach, wenn auch nur sanft: »Heute steht eine Weinkönigin nicht mehr bloß da und winkt lächelnd.« Mit diesem Satz wurde sie bundesweit zitiert.
Was das genau heißen soll?
Katharina Staab, Weinkönigin im Regentschaftsjahr 2017/18, fand deutlichere Worte: »Man muss vorsichtig sein, dass das Amt nicht ins Lächerliche und ins Märchenhafte abrutscht«, sagte sie in einem Interview. Sie schlug vor, den Wettbewerb auch für Männer zu öffnen. Carolin Klöckner äußert sich diplomatischer: Ein männliches Pendant zur Weinkönigin gebe es längst: Sommeliere und Influencer wie »Ask Toni«, dem allein auf Instagram mehr als 12000 Menschen folgen.
»Ah, da ist sie ja endlich, die Königin des Weines!«, ruft ihr ein Fotograf entgegen, er betreibt ein lokales Weinmagazin. Vor seinem Bauch hängen zwei Kameras mit Teleobjektiven, damit habe er schon vier Weinhoheiten abgelichtet, erzählt er stolz. Er wird Klöckner fast den ganzen Tag mit »Eure Majestät« ansprechen. Klöckner nickt ihm zu, begrüßt dann aber erst mal den Professor, dem das Weingut Steinmeister gehört. Er schenkt einen Weißburgunder, Spätlese, in ein bauchiges Glas ein. »Je feiner das Glas, das den Wein umgibt, desto besser entfaltet sich sein Geschmack«, erklärt Klöckner.
Die deutsche Weinkönigin, die rund 16000 deutsche Winzer repräsentieren soll, ist ein Amt mit langer Tradition. Als sie 1949 das erste Mal gewählt wurde, galt sie als »First Lady des Weins«. Weinhoheiten waren nicht mehr als ein weibliches Schmuckstück für ein Produkt, das fast ausschließlich durch Männerhand entstand. Frauen, die Weinköniginnen werden wollten, mussten ledig oder die Tochter eines Winzers sein, es galt Dirndlpflicht.
Carolin Klöckner stammt nicht aus einer Winzerfamilie. Es existiert zwar ein Weingut in der entfernten Verwandtschaft, aber da war sie nur mal in den Ferien. Wie interessant Weinbau sein kann, entdeckte sie erst in ihrem Agrarwissenschaftsstudium, nach einem Fehlstart in Informatik.
Wie passt eine Naturwissenschaftlerin wie sie in diese Krönchen-Welt?
»Es fasziniert mich, wie emotional Wein ist«, sagt Klöckner. »Hinter jedem Wein, hinter jedem Weingut, steckt eine Geschichte.« Weinkönigin sei sie nicht wegen des Chichi geworden. Sie wolle Wein die Aufmerksamkeit verleihen, die er verdiene. »Haben Sie mal einen Spätburgunder von der Ahr probiert? Oder einen Müller-Thurgau aus Sachsen?«
Mit 21 Jahren wurde Klöckner Weinprinzessin von Vaihingen an der Enz, ihrem Heimatort, mit 22 Weinkönigin von Baden-Württemberg. Bei der weihnachtlichen Weinprobe im Landtag hielt sie eine Rede. Mit 23 war sie Deutsche Weinkönigin. Drei Titel in drei Jahren – auch das ist eine Form von Ehrgeiz.
Nach fast einem Jahr im Amt hat sie mehr als 200 Termine absolviert, Weinkönigin ist ein Vollzeitjob. Das Deutsche Weininstitut organisiert ihren Kalender und schickt ihr jede Woche eine Excel-Tabelle mit Terminen und Briefings für Reden, die sie halten soll. Für jeden Auftritt bekommt sie rund hundert Euro Aufwandsentschädigung, das Institut trägt auch die Reisekosten. Vor Kurzem war Klöckner in Japan, demnächst geht es nach Hongkong, New York und in die Schweiz. Die Weinmajestät kommt rum, das macht das Amt attraktiv – auch wenn wenig Freizeit bleibt. Klöckner hat weder einen Freund noch eine eigene Wohnung. Im April hat sie gerade mal drei Nächte zu Hause geschlafen.
»Kannst du da Hans-Jürgen draufschreiben?«, fragt der Fotograf einer Lokalzeitung und zieht eine mitgebrachte Autogrammkarte aus der Tasche. Klöckner lächelt, fragt nach einem Stift, unterschreibt. »Wie gut, dass meine Freundin nicht hier ist … «, sagt der Fotograf und kichert wie ein Junge in der Pubertät. Klöckner lächelt immer noch, murmelt so etwas wie »ist schon gut«. Dann greift sie in ihre Tasche und holt ein filigranes Diadem hervor, 90 Gramm schwer, silberner Kern, vergoldet. 13 Edelsteine symbolisieren die 13 deutschen Anbaugebiete.
»Die Leute kennen meist nicht mein Gesicht, sie erkennen mich an der Krone«, sagt Klöckner. Als sie voriges Jahr mit der »Generation Riesling«, dem Branchenverband der jungen Winzer, auf der Frankfurter Buchmesse stand, machte sie ein Experiment. Eine Stunde lang stand sie nur im T-Shirt da, wie die anderen auch. Dann setzte sie die Krone auf. Sofort hätten sich die Besucher nach ihr umgedreht, wollten Fotos machen, Autogramme haben. »Deswegen sind die Krone und der Titel immer noch wichtig. Ihre Trägerin wechselt, die Symbole überdauern.«
Das Weingut Steinmeister liegt in einer sogenannten Steillage mit felsigen Treppen an einem grünen Hügel. Klöckner trägt bunte Sneakers und einen beigefarbenen Trenchcoat, die richtige Kleidung für eine Wanderung, wenn Regen angesagt ist, wie heute. In einem der Weinkeller präsentiert die Tochter der Gutsbesitzer ihren ersten eigenen Wein: Ein 2017er Spätburgunder, mit frischen Ananasaromen, die Trauben von Hand gelesen. Sie ist Önologin, hat also Weinbau studiert. Ihr Freund schenkt den Wein in Gläser, die den Besuchern mit Kordeln um den Hals hängen.
Die Gruppe stimmt das Volkslied »Wenn alle Brünnlein fließen« an, im Kanon. Klöckner lächelt milde, mitsingen tut sie nicht. Danach fragt ein Wanderer.
»Wie hoch ist der Oechslegrad?«
»97«, sagt die Winzerin.
»Oh, dann liegt das Volumenprozent ja bei …«
»14 Prozent«.
Was das ist, ein Oechslegrad? Klöckner erklärt es mit einer solchen Geduld, als würde sie zu einem kleinen Kind sprechen: »Der Weinbauer betrachtet die Traube mit einem Gerät, das aussieht wie ein Fernrohr. So kann er den Zuckergehalt bestimmen, das ist der sogenannte Oechslegrad. Daran bemisst sich der Alkoholgehalt des Weins.«Einmal, erzählt sie am Abend, habe sie bei einem Vortrag ein Winzer gebeten, seinen Wein mit einem Filmtitel zu beschreiben, es entspann sich ein Dialog.
»’Pretty Woman‘?«
»Zu kitschig, mein Wein ist ein Abenteuer.«
»’Star Wars‘?«
»Ist spannend, aber mein Wein ist nicht künstlich.«
»’Tatort‘?«
Leuchtende Augen.
»Spannend und aufregend bis zum Schluss. So wie mein Rotwein!«
Auch Klöckner war zufrieden. Sie weiß: Nicht nur den Winzern, auch der Jugend verkauft man den deutschen Wein nicht über Oechslegrade, sondern mit Storytelling. Wobei sie sich nie als Verkäuferin bezeichnen würde. »Botschafterin« ist ihr lieber. So stellt sie sich auch im Ausland vor, so heißen ihre Social-Media-Kanäle: »German Wine Ambassador«. Das klingt weniger nach Cocktailkleid und Krönchen, eher nach Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Das treffe es auch eher, findet Klöckner. Weinkönigin klingt provinziell, Botschafterin kosmopolitisch.
Nach zwei Stunden ist Klöckner, die kosmopolitische Weinbotschafterin, mit der Wandergruppe auf der Spitze des Weinbergs angekommen, beim Weingut Steinmeister nennen sie ihn den »Kaiserhügel«. Allgemeines Durchschnaufen, noch ein Glas Wein, noch ein Foto. »Frau Weinkönigin, können Sie mir sagen, wie unsere Region im Westen Deutschlands angenommen wird?«, fragt einer. »Wissen die, wie schön wir es hier haben?« Klöckner hört ihm zu, antwortet diplomatisch. Sicher wüssten das noch nicht alle Menschen, aber mit jedem Tag einer mehr. »Sie haben hier eine ganz tolle Region und einen fantastischen Wein.«Klöckner besitzt ein unschätzbares Talent für dieses Amt: Sie beherrscht Small Talk auf der Berlinale genauso gut wie Nerd-Talk über Oechslegrade. In ihrer Bachelor-Arbeit will sie untersuchen, wie ein regionaler Handelsverband den deutschen Wein im Einzelhandel stärken könnte.Als Klöckner sich am frühen Abend von dem Professorenpaar verabschiedet, will auch der Lokaljournalist mit den zwei Kameras um den Bauch noch ein paar Worte sagen: »Das war wirklich alles super, nur eine Sache haben Sie vergessen!« Die letzte Weinhoheit habe oben auf dem Kaiserhügel noch eine Rebe mit dem Wein gegossen. »Das haben Sie nicht gemacht!« Klöckner antwortet: »Ach, vielleicht ist das gar nicht so schlecht, so können Sie jetzt beobachten, ob der Wein besser oder schlechter wächst als das letzte Mal.« Die Professorin nickt zustimmend: »Sie sind eben Wissenschaftlerin. Sie wissen, dass es eine Kontrollgruppe braucht!«
Die Wanderer lachen. Klöckner schmunzelt, steckt ihre Krone in die Tasche und schreitet von dannen.
Foto: Nora Klein