Kai Nußbaum ist Lkw-Fahrer und berühmt. Auf YouTube hat er auf seinem Kanal »German Truck Driver« über 100.000 Abonnenten. Macht er seinen Beruf erträglicher?
»Land in Sicht« / ZurQuelle Magazin / Juni 2019
Kai Nußbaums Arbeitstag beginnt mit 400g Geflügelfrikadellen, zwei Dosen Energy und einer Tüte Lakritze. Er kauft sie bei Penny, dann steigt er in die Fahrerkabine seines Lkws und verstaut den Proviant. Auf einer dünnen Matratze hinter dem Fahrersitz deponiert er eine Kamera. Er startet den Motor. An der Innenseite der Frontscheibe sind seine Namensschilder montiert, rote Schrift auf weißem Grund. »Kai« steht dort, und »German Truck Driver«.
Kai fährt von Göttingen nach Würzburg und zurück, jeden zweiten Tag. Nur zwei Mal die Woche muss er im Lkw schlafen. Weil er früher immer nur am Wochenende zu Hause war, hat ihn der Job fünf Beziehungen gekostet. Einmal hat Kai ein Jahr lang nicht gemerkt, dass ihm seine Freundin fremdgegangen ist. Doch auch seine letzte Frau, mit der er eine vierjährige Tochter hat, trennte sich vor drei Monaten von ihm. Als Kai das erzählt, raucht er seine dritte Camel-Zigarette. »Das Rauchen ist ein Laster von mir. In meinen Videos würde ich aber nie rauchen. Ich habe ja eine Vorbildfunktion«. Er lacht über seinen eigenen Wortwitz. Laster, haha.
Kai, 39 Jahre alt, 1,90m, schlank und Träger eines Sido-T-Shirts macht zwei Jobs, die sehr unterschiedlich sind. Einerseits ist er einer von 550.000 Lkw-Fahrern auf Deutschlands Straßen, immer allein. Andererseits ist er ein Youtuber, ein kleiner Star. Manchmal macht er Selfies mit Fans auf Autohöfen. Seine Videos heißen »Glättedrama auf der A7«, »Schei… Montag!!!« oder »Geile Schätze aus der Lkw-Halle«. Meistens filmt er, wenn er wartet. Nie aber, wenn er Lkw fährt.
4,5 Millionen Mal wurden seine Videos schon angeklickt, 260.000 Mal allein im letzten Monat. Das ist so viel, dass Kai damit Geld verdient, nicht aber genug, dass es zum Leben reicht. Einige hundert Euro verdient Kai im Monat, sagt er. Durch Werbung. Ab 10.000 Abonnenten darf man auf YouTube Werbung schalten, 1000 Klicks bringen etwa einen Euro. Manchmal auch mehr, wenn die Zielgruppe älter und damit kaufkräftiger ist. »Ich mache das aber nicht wegen des Geldes. Ich mache das, weil mich die Leute lustig finden und mir sagen, dass ich gut bin«, sagt er. Er macht es, weil er Aufmerksamkeit bekommt. Anerkennung für einen Job, den kaum jemand machen will. Laut einer Studie hat er trotzdem den drittunbeliebsten Job des Landes. Dicker Fernfahrer, der nur Unfälle verursacht und keine Zeit für die Familie hat, das ist das Image des Jobs.
Kai hat sich den Namen seines Youtube-Kanals auf den Unterarm tätowieren lassen. Stolz in Frakturaschrift. So wie der US-Amerikaner, den er 2012 auf dem Oktoberfest traf. Der hatte »American Truck Driver« auf dem Arm tätowiert. An diesem Tag beschloss Kai, auch für seinen Job zu werben.
Wie viele seiner Kollegen kam auch Kai nur über Umwege zum Beruf. Erst machte er eine kaufmännische Ausbildung, die war ihm zu langweilig. Er ging zur Bundeswehr. Er wollte in Bosnien kämpfen, doch sein Rücken hinderte ihn daran in den Krieg zu ziehen, er brauchte einen neuen Job. Das war 1992. Das »A-Team«, wie Kai das Arbeitsamt nennt, schlug ihm vor, Berufskraftfahrer zu werden, wie der Job präzise heißt. Nicht, weil er musste. »Ich wollte das machen, weil ich schon immer Diesel im Blut hatte«, sagt Kai. Seitdem ist er fast zwei Millionen Kilometer gefahren, etwa 50 Mal um die Erde.
Um 17 Uhr bekommt Kai eine Facebook-Nachricht von einem Zuschauer mit Namen Chrischan. Der schreibt: »Du machst das super! Ohne euch Lkw-Fahrer würde es vieles in unserem Alltag nicht geben«. Kai lächelt stolz, liest die Nachricht ein zweites Mal laut vor.
Als Kai auf die Autobahn fahren möchte, kommt ihm ein Pkw zuvor. Kai muss bremsen. »Da haben wir’s wieder. Niemand respektiert uns. Dabei fahren wir nur für andere«, sagt Kai mit empörter Stimme. Es stimmt. Knapp 80 Prozent der 4,5 Millionen Güter werden in Deutschland auf der Straße transportiert. Während er sich die letzte Frikadelle mit den Fingern in den Mund schiebt, läuft »Land in Sicht« von der Band Santiano im CD-Player. Es ist sein Lieblingslied. »Und weit und breit ist immer noch kein Land in Sicht«, heißt es dort. Und: »Denk an mein Mädchen in der Stadt, wie sie wartet Tag für Tag und wie sie nachts alleine weint«.
Um 23:30 Uhr hat Kai dreizehn Camel-Zigaretten geraucht. Er fährt nach Hause. Er will noch etwas essen und sein nächstes Video schneiden. Eine Stunde dauert das, manchmal zwei. Kurz vor dem Einschlafen ändert er sein Whats-App-Profilbild. Es zeigt ihn mit seiner Familie.
Foto: Kai Nußbaum