»Ihr wollt den Kapitalismus abschaffen, aber immer mehr verdienen als eure Frauen«

Männlich, links, Sexist / ZEIT Online / Januar 2020

Linke, gebildete Männer denken, sie setzen sich schon allein durch ihre Überzeugung für die Gleichberechtigung von Frauen ein. Dabei sind woke Machos auch nur Sexisten.

Wir waren Anfang zwanzig, hatten keine Ahnung, wie Sexismus funktionierte, taten aber natürlich so. Wir, eine Handvoll Frauen und Männer, studierten Politikwissenschaft Anfang der Zehnerjahre in Marburg und saßen im Kurs „Einführung in die Kritik der Geschlechterverhältnisse“ von Professor Ingrid Kurz-Scherf. Sie erklärte uns, wie sich Frauen das Recht auf Wahlen und Arbeit erstritten hatten und was die großen Denker so vom „schwachen Geschlecht“ gehalten hatten: Luther, du Sexist, schreibst: „Die größte Ehre, die das Weib hat, ist allzumal, dass die Männer durch sie geboren werden„. Was für ein Bullshit.

Wie leicht fiel es uns links-politisierten Studierenden damals, den Sexismus toter Männer abzustrafen. Oder die Bundesregierung für ihr Ehegattensplitting oder die Marburger Burschenschaftler für ihr altertümliches Rollenbild. Es machte Spaß und gehörte zum guten Ton, auch für die Männer. Sie zählten die Autorinnen auf den Leselisten der Profs und wiesen auf Partys Typen zurecht, deren Hände wie zufällig an unseren Rücken herunterrutschten, während sie sich an uns vorbeischoben.

Unsere männlichen Freunde schienen woke zu sein, wachsam gegenüber Diskriminierung. Bewusst, empfindsam, sensibel. Sie spielten in unserem Team.

Wenn wir allerdings zum Bolognese-Kochen in einer unserer WGs zusammenkamen, waren es wir Frauen, die den Tisch deckten. Und es waren die Männer, die über die Eroberungen der letzten Nacht lästerten: „Haha Jungs, ich hab‘ gestern Nacht noch in die eine reingehalten, mega eklig.“ Und die anderen Jungs so: „Woah echt, haha“.

Es tat weh. Aber gegen unsere seit zwanzig Jahren verinnerlichten Rollenbilder kamen wir in der Realität nicht so leicht an wie in unseren Hausarbeiten. Wir Frauen trauten uns nicht, etwas zu sagen, weil wir keine Spaßbremsen sein wollten, weil wir es uns mit den Jungs nicht verscherzen wollten. Viel zu oft haben wir Sätze gedacht wie „Er hat halt nie gelernt, seine Gefühle zu kommunizieren“ oder „Er ist eben ein Chaot“ – und uns selbst am meisten dabei belogen.

Meine männlichen Kommilitonen waren zwar mit uns wütend, dass Frauen in Westdeutschland bis 1977 nur mit Erlaubnis ihres Ehemannes arbeiten durften, und Vergewaltigung in der Ehe erst 1997 eine Straftat wurde. Sie setzten sich in Diskussionen für gleiche Gehälter und mehr Frauen in Führungspositionen ein. Aber sie sprachen eben auch schlecht über Frauen, mit denen sie schliefen. Und stempelten uns, ihre Freundinnen, als eifersüchtig ab, wenn wir sie darauf aufmerksam machten. Macht euch mal locker!

Ja, sie waren für die gleichberechtigte Frau. Aber eben nur, solange sie nicht in ihrer Nähe war.

Der Sexismus linker Männer ist subtiler als der des Mainstreams, weil er sich hinter dem Kampf gegen die Oberen, gegen das System oder gegen Rechts verstecken kann. Die Vergangenheit ist leichter verurteilt als die Gegenwart, Jens Spahn schneller kritisiert als das eigene Spiegelbild, das Fremde besser analysiert als das Intime.

Dabei ist es das Wesen des Antisexismus, nicht im Abstrakten, sondern bei sich selbst zu beginnen. Nur wer sein eigenes Verhalten reflektiert, kann erlernter Diskriminierung wirklich etwas entgegensetzen.

Alles andere ist am Ende, leider, nur Show.

Meinen Bachelor in Politikwissenschaft habe ich 2015 gemacht, der Sexismus in meinem Umfeld ist seitdem nicht weniger geworden. Im Gegenteil. Ich habe eher das Gefühl, dass es immer schlimmer wird.

Und dabei geht es mir nicht um die Typen, die Frauen auf der Straße mit einem Bier in der Hand hinterherpfeifen. Oder sie im Netz belästigen, beschimpfen, bedrohen. Über die muss man an anderer Stelle sprechen, streiten, urteilen. Mir geht es um die Philipps, Jans und Patricks, die zwar Judith Butler, Margarete Stokowski oder Rebecca Solnit zitieren, die zu Lizzo feiern und The-Future-is-Female-T-Shirts tragen. Und die doch nie damit aufgehört haben, den Frauen die Welt zu erklären, sie von oben herab zu behandeln, sie nicht ernst zu nehmen.

Da sind die Väter, wie der österreichische Sänger, Schauspieler und Kabarettist Manuel Rubey, die erst Vater einer Tochter werden müssen, um sich öffentlich als Feminist bekennen zu können.

Da sind die drei ehemaligen Kollegen, die immer einander um Feedback für ihre Arbeit gebeten haben, aber niemals eine Frau.

Und da ist ein Freund, der mich in Diskussionen mit Worten wie „Was du meinst, ist doch das Folgende“ unterbricht. Und das auch noch witzig findet: „Ich mach hier jetzt mal den Mansplainer, hehe“.

Ich bin mit vielen solcher Männer befreundet oder schätze sie als meine Kollegen. Weil sie klug sind, hilfsbereit, nette Menschen. Trotzdem schmerzt es mich, immer wieder erklären zu müssen. Immer wieder darauf zu warten, dass sie von selbst begreifen, dass ihr unsolidarisches Verhalten die Verhältnisse nur zementiert. In unserem System basiert die männliche Herrschaft immer noch auf der Abwertung von Frauen durch Sexismus. Weiße Männer sind nicht nur politisch, sondern auch statistisch die freiesten Menschen in unserer Gesellschaft. Im Gegensatz zu Frauen: Von den Opfern partnerschaftlicher Gewalt sind 81 Prozent Frauen, sie bekommen im Durchschnitt 53 Prozent weniger Rente , nur eine von drei stellt eine Führungskraft.

Eine linke Einstellung kann, muss aber nichts an diesen Problemen ändern. 

Auch ein linker Mann ist mit den Privilegien seines Geschlechts geboren. Auch ein linker Mann ist Teil des Patriarchats. Auch ein linker Mann wird an diesen Verhältnissen nichts ändern, wenn er nichts an seinem eigenen Verhalten ändert.

Ihr wollt eine offene Debattenkultur, hört Frauen aber nicht richtig zu.

Ihr wollt den Kapitalismus abschaffen, aber immer mehr verdienen als eure Frauen.

Ihr wollt eure Kinder gleichberechtigt erziehen, nehmt aber nur zwei Monate Elternzeit.

Ihr wollt Frauen in Führungspositionen, redet aber nur in eurem Boysclub über Jobangebote.

Ihr wollt soziale Gleichheit, aber die Rente eurer Frauen ist euch egal.

Ihr wollt gleichberechtigten Sex, aber die Pille nicht mitbezahlen.

Doch Männer, die es mit der Gleichberechtigung der Geschlechter ernst meinen, sollten sich auch finanziell an der weiblichen Verhütung beteiligen. Sie sollten sich ihren Freundinnen gegenüber genauso verhalten wie gegenüber ihren Kumpels und deren unbequemes Verhalten nicht als eifersüchtig, hysterisch, klammernd abtun. Sie sollten mehr zuhören, weniger unterbrechen und die Arbeit ihrer Kolleginnen fördern. Und sie sollten andere Männer auf sexistisches Verhalten hinweisen – auch, wenn keine Frau anwesend ist.

Der Kampf um Gleichberechtigung ist nichts, womit man sich schmückt. Es ist etwas, das man tut. Nur ein Mann, der das begriffen hat, kann deshalb auch als woke bezeichnet werden. Und zwar von Frauen.   

Meine Freundinnen von damals und ich sind heute strenger mit den Männern in unseren Leben. Wir decken keine Tische mehr. Wir sagen es, wenn Männer uns schlecht behandeln oder schlecht über andere Frauen sprechen. Wir haben Kontakte abgebrochen und andere gar nicht erst aufgebaut. Wir sind lauter, strenger, kompromissloser geworden.

Auch unser Antisexismus hat bei uns selbst begonnen.