von wegen

von wegen / ZEIT Magazin / April 2021

Diesen Text hat Katharina Meyer zu Eppendorf geschrieben. Und nein, ihr gehört nicht halb Hamburg-Eppendorf. Ihr gehört nicht mal eine Barbour-Jacke. Über die Last, vermeintlich adlig zu sein

Menschen, die meinen Nachnamen lesen, werden oft seltsam. Sie schreiben mir überschwängliche Nachrichten (»Sehr geehrte Frau von und zu Eppendorf«), sie können sich eine Spitze nicht verkneifen (»Soso, die feine Dame«), oder sie vergessen vor lauter demonstrativer Bürgerlichkeit die Hälfte meines Nachnamens (»Danke, Frau Meyer«). Klar – ich bin adlig in ihren Augen, eine adlige Dame von und zu Eppendorf, dem Hamburger Schnösel-Stadtteil, in dem es nicht wenigen Menschen mit ihren Bugaboo- Kinderwagen, Flat Whites und Canada-Goose-Jacken ziemlich gut geht. Wenn viele es schon unsympathisch finden, in Eppendorf zu wohnen, wie unsympathisch ist es dann erst, als die Prinzessin von und zu Eppendorf zu gelten? Die Potenzierung der Schnöseligkeit!

Im Süden Niedersachsens, wo ich geboren bin, ist das anders. Da wissen die meisten, dass das »Meyer zu« in meinem Nachnamen kein Adelstitel ist. Meyer-zus sind alte Bauernfamilien, es gibt sie, seit Karl der Große um 800 den Besitzer des größten Hofs im Dorf zum »Meyer zu« machte und diesem die Aufgabe übertrug, das Dorf für ihn zu verwalten. Und eines dieser Dörfer, nämlich das, aus dem ich komme, ist eben Eppendorf, mit seinen heute rund 260 Einwohnern. Man kann die Meyer-zus also historisch mit so etwas wie Bürgermeistern vergleichen, Bauern mit Privilegien. Heute sind sie das nicht mehr. Sie arbeiten als Rechtsanwälte, Ärztinnen oder selbstständige Friseure. Wir gehören zur Mittelschicht, die immer noch in Bauernhäusern oder Vierzimmerwohnungen lebt.

Ich habe Eppendorf, wo meine Oma wohnte, in fast jeden Schulferien besucht, bin dort allerdings nicht aufgewachsen. Mein Vater arbeitete als Informatiker, meine Mutter als Berufsschullehrerin, wir zogen viel um.

In Sachsen und Hessen traf ich auf Lehrer, die mit ihren Zeigefingern gern beim »M« auf der Klassenliste hängen blieben und mich fragten, wo denn mein Landsitz sei. Oder in Hamburg auf Friseure, Ärztinnen und Sachbearbeiterinnen bei der Krankenversicherung, die mich in verlässlichen Abständen immer mal wieder mit ironischem Unterton fragen: »Ah, Ihnen gehört also Eppendorf?« Hahaha.

Und als ich später in Marburg studierte, traf ich auf linke Kommilitonen. Ich saß im Proseminar Politische Theorie. Bei der Referatsvergabe meldete ich mich, um einen Vortrag über Judith Butler und ihr Werk Das Unbehagen der Geschlechter zu halten. Als ich meinen Namen nannte, hörte ich, wie ein Kommilitone zischelte: Meyer zu Eppendorf? Was will die denn hier?

Irgendwann wurde ich auch gefragt, ob ich mal dran gedacht habe, das »zu« abzulegen? Wie die Ditfurth? Jutta Ditfurth ist eine linke Politikerin und Gründungsmitglied der Grünen. Sie stammt aus den Adelsgeschlechtern von Ditfurth und von Raven, und ihr Adelsprädikat legte sie laut eigenen Angaben noch vor ihrem 18. Geburtstag ab. Konsequent aus ihrer Sicht, konsequent für meinen mutmaßlich linken Kommilitonen, auch von mir die Abkehr vom Elitarismus zu fordern. Nur war ich halt nie Teil dieser Elite, von der ich mich da abwenden sollte.

Als ich etwas später ein Praktikum bei einem Magazin machte und mich an der Journalistenschule bewerben wollte, wurde ich gewarnt, dass mein Name Probleme beim Auswahlgespräch machen könnte. Eine Kollegin sagte: Vielleicht solltest du dir da was überlegen. Falls sie dich fragen, ob es nicht schon genug Adelige im Journalismus gibt. Die Jury fragte mich das nicht, und die Schule nahm mich auf. Dafür wollte die Sekretärin der Schule später wissen, ob ich meinen Namen nicht auf »Eppendorf« abkürzen könne, das sei praktischer und vermutlich einfacher zu diktieren. Vor allem für meine E-Mail-Adresse. Ich lehnte ab. Nicht weil mir »Meyer« oder »Eppendorf« zu wenig gewesen wäre. Aber so heiße ich einfach nicht.

Früher, in der achten Klasse, war das noch anders. Da wünschte ich mir nichts sehnlicher, als »normal« zu sein. Da hätte ich am liebsten nur »Eppendorf« geheißen oder »Meyer«. Ich wollte nichts repräsentieren, was ich nicht war: Nach der Trennung meiner Eltern zog ich mit meiner Mutter und meiner Schwester in eine Vierzimmerwohnung mit blauem PVC-Boden. Mein Studium finanzierte ich später per Bafög und Studienkredit. Ich bin nicht benachteiligt aufgewachsen, das würde ich nie sagen, aber eben auch nicht auf dem Rücken eines englischen Vollbluts.

Diese Bilder scheinen aber zu entstehen, wenn ich mich vorstelle: eine Grundbesitzerin, die in ihrer Freizeit ihre Barbour-Jacke an der Alster spazieren führt.
Leider kann ich mein Gegenüber nicht immer aufklären. Das ist manchmal schade. Denn ich weiß: Es entspannt die Leute. Es scheint sie zu freuen, dass ich nicht mit mehr Privilegien aufgewachsen bin als sie. Das ist dann der Moment, in dem ihre Vorurteile der Realität weichen und in dem ich, wie sagt man?, in den Augen der anderen die werde, die ich bin. Seltsam distanzierte Kolleginnen werden dann eine Spur netter. Vielleicht, weil sie mich als eine der Ihren erkennen. Als ich meine Mitmenschen aus Anlass dieses Textes befragt habe, was sie über Adlige denken, sind oft Begriffe wie »reich«, »prätentiös« und »verstaubt« gefallen. Oder »Salem«, das Elite-Internat am Bodensee. Eine Kollegin hat wegen meines Nachnamens sogar kurz gezögert, mir zu helfen, wie sie später zugab. Es sind Momente, die zeigen, wie groß die Macht des ersten Eindrucks ist, des Namens, dessen, was er signalisiert: das Milieu, die Startvorteile, die jemand vermeintlich hatte, wie viel Meter jemand vor oder hinter einem losgelaufen ist. Hinter der kleinen Präposition in »Meyer zu Eppendorf« steckt eben die Vermutung von Geld und Prestige und Seriosität. Adlige sind allein deshalb schon so privilegiert, weil ihnen diese Privilegien von außen zugeschrieben werden.

Man kann also sagen, mit Vorurteilen kenne ich mich aus. Auch wenn es sehr viel angenehmere sind als die, die etwa Menschen entgegenschlagen, die nicht weiß, nicht hetero, nicht schlank sind oder sonst wie nicht der vermeintlichen Norm entsprechen. Mir schreibt man Privilegien zu, anderen verwehrt man sie. Die Gesellschaft projiziert auf Menschen das, was sie von ihnen zum Beispiel aufgrund ihres Namens erwartet. Wenn mich jemand für adelig hält, erzählt mir das deswegen mehr über mein Gegenüber als über mich selbst: Es erzählt mir, aus welcher Sicht es die Welt betrachtet. Und natürlich würde ich lügen, wenn ich verschweigen würde, dass ich diese Projektion nicht auch schon zu meinem Vorteil genutzt hätte. Da ist zum Beispiel die Sache mit meinem ersten Vermieter in Marburg. Er war Tanzlehrer und zeigte sich eher skeptisch, ob er seine liebevoll renovierte Wohnung, darin auch ein Bad mit goldenen Wasserhähnen und Natursteinen, einer Erstsemester-WG überlassen solle. Deswegen wollte er alles über uns und vor allem unsere Eltern wissen. Ich schwor, dass meine Familie, also die »Meyer zu Eppendorfs«, natürlich bürgen würden, betonte das »zu« und sagte noch, dass meine Oma in Eppendorf ja selbst auch vermiete.

Keine Ahnung, ob er an Hamburg dachte oder an das Dorf. Dass die Miete der beiden Fachwerkhäuser gerade so reichte, um die laufenden Kosten des Hofs zu finanzieren, musste er ja nicht wissen. Ich betonte das »zu« in der Hoffnung, dass ihm so klar werden würde, wie gut ich zu seinen goldenen Wasserhähnen passte. Wir bekamen die Wohnung. Und die Wasserhähne zu polieren wurde zu meiner liebsten Aufgabe. Stimmt wirklich.